Was gibt es hier zu reden
Ein Konversationsstück auf der Basis von O-Ton-Aufnamen.
Peter Bellon in Funk-Korrespondenz vom 3. 7. 1974
Bruchteil gesellschaftlicher Mitbestimmung. - Der österreichische Autor Michael Scharang hat zusammen mit dem WDR-Dramaturgen Klaus Schöning und einigen Wiener Arbeitern über Jahre hinweg ein Hörspielkonzept entwickelt, das dem ursprünglichen Anspruch des „Original-Ton-Hörspiels“-, den Stimmen der Arbeiter eine Öffentlichkeit zu schaffen - soweit man das sehen kann, am ehesten gerecht wird. Nach „Das Glück ist ein Vogerl“ und „Einer muß immer parieren“ konnte diese Produktionsgemeinschaft mit dem Stück „Was gibt es hier zu reden“ jetzt das dritte Beispiel einer gelungenen Zusammenarbeit zwischen professionellen Schreibern und Amateurautoren vorlegen.
Der Unterschied auch dieses Hörspiels zu einem „naturalistischen“ O-Ton-Stück besteht darin, daß - wie Scharang in seinem Arbeitsbericht betont - dem Arbeiter das Mikrofon nicht „wie eine Falle“ hingehalten wird, in die er mangels sprachlicher Ausdrucksfähigkeit oder mangels Vorbereitung auf eine gestellte Frage hineinfallen muß. „Nur etwa die Hälfte“ des fertigen Stücks sei noch O-Ton im eigentlichen Sinne, meint Scharang. Der Rest sei nach Abschriften von Tonbandmaterial im Studio neu geschnitten worden, d.h. die Amateur- oder Co-Autoren überprüfen selbst und korrigieren das, was sie zuvor in der freien Diskussion „roh“ auf Tonband gesprochen haben.
Scharang und seine Mitarbeiter bleiben somit formal beim „Montageprinzip“, wie sie es auch schon bei den vorhergehenden beiden Stücken realisiert hatten. Das inhaltliche Rahmenthema des Hörspiels ist dieses Mal „die Mitbestimmung“, wie sie im Betrieb der beiden Arbeiter noch nicht besteht, und was man tun könnte, um sie wirklich zu erreichen. Ein pauschales Leitmotiv: Ist die wirtschaftliche Seite der Mitbestimmung erst vorhanden, kommt die gesellschaftliche Seite von selbst in Ordnung.
Die perspektivenreichen Aussagen der Arbeiter zu einzelnen Stichworten wie „Betriebsrat“, „Investitionen“, „Lohnfrage“ etc. werden durch überschriftartige Zwischentexte, Fragen, Aufforderungen und Musikzitate von Hanns Eisler nicht nur verbunden, sondern zum Teil auch provoziert oder in Form einer Rückfrage („Hab´ ich das richtig verstanden?“) vertieft. Hier ist ein Ansatz zu einer formalen Weiterentwicklung des Konzepts zu erkennen, so wie es Scharang in seiner Dokumentation zur bisherigen Arbeit in diesem Bereich (Sammlung Luchterhand 128) ganz zum Schluß andeutet: „Wir waren uns einig, daß wir, wenn wir diese Arbeit weitertreiben, von der Montage wegkommen und Spielelemente benützen würden: Dialoge, Szenen usw.“.
Die Entwicklung geht also immer mehr zum Kunst-Produkt hin, wobei man gespannt sein darf, ob sich der Versatz, diese Spielelemente „direkt aus der Realität“ zu entwickeln, behauptet, und ob das Endprodukt die Praxisnähe seiner Vorläufer erreicht. Als Mittel, sich selbst seine Realität klar zu machen, verdient die Arbeit Scharangs und seiner Co-Autoren die propagierte Nachahmung. Als „gesendetes Hörspiel“ ist das Stück ein Bruchteil gesellschaftlicher Mitbestimmung in dem Sinne, den Scharang am Ende seines Arbeitsberichts diesem Unternehmen gibt: „Alle sollen nicht nur ihre Meinung sagen, sondern diese auch verbreiten können.“ Alle!