Michael Scharang

 

Traurig, aber wahr

Sie hat eine kuriose Frisur,
sieht aus wie eine Pendeluhr,
doch an Stelle des Pendels
hängt eine Schnur.

Er hat einen gewaltigen Bauch,
und ein Vogelhäuschen auch.
Das trägt er auf dem Rücken,
dort wohnen Maikäfer
und Mücken.

Das Kind, ein Mädchen, hat unter
den Eltern zu leiden,
also erschießt es die beiden.
Das Kind ist erst zwei Jahr.
Das ist traurig, aber wahr.

„Die Presse, Spectrum“, Wien, 5.3.2016

 

Krieg auf der Flucht

Ich bin der Krieg,
bin auf der Flucht.
Der Frieden laßt
nichts unversucht.
Wie der mich haßt!

Bin auf der Flucht
zum Sieg, mit
gemeiner Kraft
haben wir es noch
immer geschafft.

Was hör ich?
Der Sieg war hier,
ist weitergezogen?
Er sucht den Krieg,
hat er gesagt?

Was für ein Glück!
Bin nicht weit zurück,
nur noch ein Stück,
dann hab ich
den Sieg gefunden.

Und der Frieden wird
an den Pfahl gebunden.

„Die Presse, Spectrum“, Wien, 7.11.2015

 

Der Glückliche

Er war achtzig.
Das wußte er.
Er stand da und
schaute in die
leere Geldbörse.
Wie er hieß,
wo er wohnte,
wußte er nicht.
Ich fragte ihn,
ob er Hilfe braucht.
Ich nicht, antwortete
er, und Sie?

„Die Presse, Spectrum“, Wien, 4.10.2014

 

Seine letzten Worte

Wir haben auf ihn
gehört und
uns an ihm ein
Beispiel genommen.

Ob es galt, im Winter
das Haus vom Schnee
freizuschaufeln

oder im Sommer den
überfluteten Keller
leerzupumpen,

auf ihn war Verlaß.

Wenn in der Werkstatt
die Drehbank
kaputt war

oder an der Schank
der Zapfhahn
tropfte,

er war zur Stelle.

Nun stehen wir an
seinem Sterbebett.

Vergeßt das eine nicht,
sagt er und und trinkt
den Krug in einem Zug aus:

Wenn die Schwäne Menschen
wären, gäbe es keine Hunde.

Wir bewahren seine
letzten Worte tief in
unseren Herzen auf.

„Die Presse, Spectrum“, Wien, 31.5.2014

 

Abschied von Lutz

Von seinem Leben, das zu Ende ging, weiß
ich wenig. Das Wenige aber mit Gewißheit.
Er war unter den besten Freunden der beste.
Es war Freundschaft auf den ersten Blick.
Wenn wir uns längere Zeit nicht sahen,
begrüßten wir uns mit jenem ersten Blick.

Unsere Urteile über die Welt waren ähnlich,
die Meinungen verschieden. So lernten
wir unentwegt voneinander. Der Heurige
wurde zu einer Hochschule, an der
geraucht und getrunken wurde, als feierten
wir schon den Sieg der Revolution.

Mit Flüchtlingen aus Chile spielten wir Tennis.
Stänkerern spielten wir einen Streich. Wenn
sie es nicht zu schätzen wußten, in einer Bar
neben zwei Kommunisten zu stehen, stellten
wir sie auf die Straße. Nicht nur in der Theorie,
auch in der Praxis verstanden wir uns gut.

Lutz, dieses Gleichnis vom Leben, tot.
Sissi, diese wunderbare Frau, dieser Engel, ich
möchte sie hinaufheben in die Wolken, damit sie
den Tod von der Ferne sieht, denn aus der Nähe
ist er nicht zu ertragen. Wir ertragen ihn trotzdem.
Für alles andere hätte Lutz kein Verständnis.

„Volksstimme“, Wien, März 2014

 

Arm und reich

Küß die Hand,
gnädige Frau,
habe die Ehre,
der Herr,
Sie sind sozial engagiert,
das schätze ich sehr.

Da mache ich mit,
dann sind
wir zu dritt
und geben dem
Mißstand einen Tritt.

Der Mißstand heißt:
Kluft zwischen
arm und reich,
die ist größer
als der große Teich.

Wir schütten sie zu,
wir stampfen sie ein,
nie wieder wird
eine Kluft so
schrecklich sein.

Arm und reich
sind wieder
glücklich vereint.
Und leben zufrieden
Hand in Hand
in ihrem schönen
Heimatland.

Die Presse, Spectrum, Wien, 22.2.2014

 

Wunderheilung

Rheuma heilt man
mit Gicht,
Gicht heilt man
mit Ischias und
Ischias mit
Rheuma.

Den Kapitalismus
heilt man mit der
Marktwirtschaft,
die Marktwirtschaft mit
der Sozialdemokratie
und die Sozialdemokratie
mit dem Kapitalismus.

Volksstimme, Wien, Februar 2014

 

Die Großtat

Von den Taten und
Untaten eines
Menschen bleibt
eine in Erinnerung
als Großtat.

Meine Großmutter,
was hat sie nicht
alles getan, Gulasch

gekocht, Turnhosen
genäht, Schuhe
gedoppelt, Brennholz
gestohlen,

und doch weiß
man heute von
ihr nur, daß sie
Tabak gepflanzt
und aus den
Tabakblättern
Zigarren gedreht hat.

Das war verboten.
Großmutter war
das egal. Dem
Gendarmen auch.
Er hatte Sinn für Größe.

Die Presse, Spectrum, Wien, 28.12.2013

 

Winter

Das Jahr und
das Leben

gehen dem
Ende zu.

Das Hörgerät
sieht nichts mehr,

die Brille
hört nichts mehr.

Weg
von hier,

auf
zum Grab.

Ein Kranz
verdorrter Blumen.

Sie duften nicht.
Ich sehe es.

Sie rascheln nicht.
Ich höre es.

Weg
von hier,

auf
zum Wirt.

Volksstimme, Wien, Dezember 2013

 

Leben und Tod

Sagt Lebenstrieb
zu Todestrieb,
warum hast du
den Tod so lieb.

Weil ich laut Vertrag
das Leben nicht mag.
Das ist der Grund,
du blöder Hund.

Die Presse, Spectrum, Wien, 2.11.2013

 

Der Kommunist

Für Hans Hautmann
zum 70. Geburtstag

Er tut so,
als würde er die Welt,
in der es drunter und
drüber geht,
in aller Ruhe
beobachten, analysieren,
beschreiben.

In Wirklichkeit geht
in ihm selbst alles drunter
und drüber.

Anders als die,
denen die Welt gehört,
wird er mit der Welt
nicht fertig.

Er muß sie erst umstürzen,
um mit ihr zu Rand
zu kommen.

Kann er das, mit siebzig?
Das ist eine Frage,
die man einem Kommunisten
nicht stellt und die sich
ihm nicht stellt.

Ob er es kann oder nicht -
er tut es.

Volksstimme, Wien, Oktober/November 2013

 

Rote Hilfe

Der Frau ist das Schuhband gerissen.
Wir knoten es zusammen.

Der Mann kann die Miete nicht zahlen.
Wir besetzen das Haus.

Meine Geduld geht zu Ende.
Ihr habt davon genug vorrätig.

Der Chef macht, was er will.
Wir auch.

Die Demonstration wird verboten.
Noch nie sind so viele Leute gekommen.

Der Absperrung war nagelneu.
Wir haben sie niedergerissen.

Die Frau hat den Mann betrogen.
Wir tragen sie auf den Schultern.

Der Mann kann das Problem nicht lösen.
Es geht uns nicht aus dem Kopf.

Ich schreibe einen todernsten Satz.
Ihr fallt vor Lachen auf den Bauch.

Volksstimme, September 2013

 

Der Tod
des Geschäftsführers

Spöttisch verzieht der
Geschäftsführer den Mund.

Er führt ein Geschäft,
das keines ist,
da es von allein läuft.

Weshalb er sich
Professor nennt und
nicht Direktor.

Spöttisch verzieht der
Geschäftsführer den Mund.

Statt in das uninteressante
Geschäft steckt
er das Interesse
in die Beziehung
zu seiner Frau.

Von weitem ruft er ihr zu:
Seit Jahrzehnten verwenden
wir grüne Müllsäcke, heute
habe ich gelbe gekauft,
mit Zitronenduft.

Da stülpt die Frau ihm einen
Müllsack über den Kopf
und erstickt ihn.

Spöttisch verzieht der
Geschäftsführer den Mund.

Die Presse, Spectrum, 3.8.2013

 

Katz und Maus
Kinderreime



Maus, Maus,
komm heraus,
sonst kratz ich dir die Augen aus.

Katz, Katz,
das weißt du doch,
ich bleib in meinem Mauseloch.

Maus, Maus,
du ahnst ja nicht,
heraußen gibt es so viel Licht.

Katz, Katz,
halt stets mich an den Brauch:
ich leb nicht gern in deinem Bauch.

Maus, Maus,
du sträubst dich wohl, daß man dich frißt,
ich fürcht, du bist ein Kommunist.

Katz, Katz,
ins Freie stehn zwei Löcher mir zur Wahl,
das Warten wird dir noch zur Qual.

Maus, Maus,
komm heraus,
sonst kratz ich dir die Augen aus.

Katz, Katz,
ich sitz auf deinem Kopf,
was bist du für ein dummer Tropf.

Volksstimme, Wien, August 2013

 

Roter September 2013

gemeinsam mit Elfriede Jelinek und Peter Turrini

Nach der Wende nach rechts
kommt die Wende nach links.

Nach der Wende nach links
kommt das Leben
wieder in Gang.

Volksstimme, Wien, Juni/Juli 2013

 

Spottgesang

Der Zustand der Welt
ist so, daß er mir gefällt.

Herrschaft herausgeputzt,
Kritik zurechtgestutzt.

Allmächtig das Kapital,
alles längst normal.

Sozialismus passé,
eine hassenswerte Idee.

Der Zustand meiner Person,
niemand redet davon.

Die Fingernägel eingerissen,
die Hose angeschissen.

Von Zuversicht besessen
eine Bratwurst zu viel gegessen.

Ach ja, das eine sag ich euch noch,
die Revolution machen wir doch.

Volksstimme, Wien, Mai 2013

 

Neidgesellschaft

Die Arbeiterklasse,

die Leiharbeiterklasse und die

Kurzarbeiterklasse

ergeben zusammen mit der

Arbeitslosenklasse

jene satte Mehrheit,

die von der

hungrigen Minderheit

der Ausbeuter und Leuteschinder,

der Meinungkünstler und Geldzauberer

neidisch und haßerfüllt

verfolgt wird.

Volksstimme, Wien, April 2013

 

Die Linken und die Bäume

Wir, die Linken,
sind nach
fürchterlichen
und verdienten Niederlagen

von der Erdoberfläche
verschwunden.
Wir haben Zuflucht
gefunden

in den Bäumen,
wo wir gelernt haben
zu überleben.
Manche, ohne etwas
anzustreben.

Als Blaumeisen.
Andere als Rotkehlchen.
Mancher als Raubkatze.
Ein anderer als Specht.
Das ist sein gutes Recht.

Bald werden wir
wieder auf der Erde
unser Unwesen treiben.

Nicht aber
ohne vorher
den Bäumen einen
Dankesbrief zu schreiben.

Die Presse, Spectrum, Wien, 1.12.2012

 

Der Held der Arbeit

Er arbeitet sich hinein
in finstere Zeiten,
tiefer und tiefer.

Er arbeitet sie auf,
die alten Untaten,
wieder und wieder.

Bis er den Blick
für die neuen
Untaten verliert.

Was für ein Ausblick!
An der Gegenwart vorbei
arbeitet er sich empor

zu helleren Zeiten, wo er
mit der Zukunft auf eine
bessere Zukunft anstößt.

Die sitzt ihm
als sein Henker
blutgierig gegenüber.

Ich bin so frei, sage ich,
und nehme einen Bissen
von seiner Henkersmahlzeit.

Da sticht er mir
mit der Gabel ins Herz.
Zum Glück habe ich keins.

Die Presse, Spectrum, Wien, 18.8.2012

 

Trinkspruch

Ein Haus zu verkaufen
oder ein Haus zu versaufen,
läuft aufs selbe hinaus:
Man hat nachher kein Haus.

Die Presse, Spectrum, Wien, 18.2.2012

 

„Zur lustigen Verfassung“

Spätnachts, nur ein Lokal
hat offen, die Bar
„Zur lustigen Verfassung“.

Ich gehe hinein, stolpere
über eine Formulierung
und betätige versehentlich

die Schuldenbremse,
wodurch eine Wolke von
Feinstaub entsteht, welche

als Schuldenberg über
dem Damoklesschwert des
Barkeepers hängt.

In meinem Alter sollte
man so spät
nicht ausgehen.

Die Presse, Spectrum, Wien, 3.12.2011

 

Das schnelle Gedicht

Was, ihr kennt mich nicht?
Ich bin das schnelle Gedicht,
bin schneller als das Licht.

Ihr könnt auf der Sonne
Springbrunnen bauen,
die Sterne mit
Kristallustern versauen,
von mir aus dem Fuchs
die Hühner klauen.

Mich aber erwischt ihr nicht.

Die Presse, Spectrum, Wien, 28.5.2011

 

Weihnacht

Christbäume träumen,
um den Traum
nicht zu versäumen,
schon bei Tag.

Da nämlich nehmen
die Menschen
Träume und Bäume
noch nicht in Beschlag.

Die Presse, Spectrum, Wien, 24.12.2010

 

Der arme Freund

Kränke dich nicht,
sagte ich zu dem Freund,
der in den Ruhestand trat.

Du hattest einen strengen Vater,
eine böse Mutter und
gnadenlose Lehrer.

Du mußtest leiden
wie wenige andere.
Das empfandest du als Unrecht.

Du wolltest Gerechtigkeit.
Du wolltest,
daß alle anderen ebenso leiden.

Du hattest keine Wahl.
Du mußtest Geschäftsführer werden.
Kränke dich nicht.

Die Presse, Spectrum, Wien, November 2010

 

Das Leben und der Tod

Kinder, Kinder,
sprach der Großvater,
was wißt ihr schon
vom Leben.

Sprach’s und fiel
tot vom Sessel.

So daß die Kinder
bis heute nicht wissen,
was der Großvater
vom Leben wußte.

Die Presse, Spectrum, Wien, 30.10.2010