Bleibt Peymann in Wien oder kommt der Kommunismus wieder
Kritiken
Thomas Rothschild in „Die Weltwoche“ vom 6. 5. 1993
Michael Scharangs gesammelte Geschichten, Satiren und Abhandlungen, meist in „Konkret“ und „Profil“ erschienen (der „Spiegel“ druckte eine Rezension ab: 1985!), ergeben eine Chronik der österreichischen Verluderung, die allerdings so österreichisch nur ist, wenn man an den konkreten Namen haftet. Die Haltungen, die da zum Vorschein kommen, dürften unschwer auch anderswo zu entdecken sein.
Schon wahr: Manchmal wünsche ich mir, Michael Scharang würde seinen ätzenden Spott häufiger gegen jene richten, die wirklich über Macht verfügen, nicht so sehr gegen Kollegen und deren vermeintliche oder tatsächliche Torheiten. Aber wo ungerechte Höflichkeiten, die sich zudem fade lesen, ungerügt bleiben- sollte man dort nicht auch ungerechte Polemiken ertragen können, wenn sie, wie subjektiv auch immer, doch auf Missstände hinweisen, die weit über die angegriffenen Personen hinaus wirksam und der Beachtung wert sind?
Bruno Lässer in den „Vorarlberger Nachrichten“ vom 22. 8. 1993
Thematisch ist ein Großteil der Beiträge an tagespolitisch aktuellen Ereignissen und den jeweils damit zusammenhängenden Personen orientiert. Die vorliegenden Arbeiten sind deshalb weniger an Kriterien literarischer Formgebung als vielmehr nach ihrer konkreten inhaltlichen Substanz und Aussage zu messen. Um es gleich vorwegzunehmen: Wer sich von Michael Scharang ein Eingeständnis ideologischer Irrtümer oder eine Abkehr von bisherigen Standpunkten erwartet hatte, wird in diesem Buch enttäuscht – dies spricht im Sinne politischer Konsequenz und Glaubwürdigkeit grundsätzlich für die Lauterkeit des Autors.
Als luzide und feinsinnig erweist sich Scharangs Analyse insbesondere bei der Interpretation neuer soziologisch-gesellschaftspolitischer Strömungen. In seinem Essay über „Das Geschwätz von der Identität“ führt er eine besonders aktuelle Spielart bürgerlicher Eitelkeit auf ihre eigentlichen Wurzeln zurück:“ Ja, leider, so ist es; hier pocht wieder einer, wie ohnedies schon jeder zweite, auf persönliche Identität; wobei er zwar nicht weiß, was er redet, umso deutlicher aber spürt, wie es ihn zu Höherem drängt. (...) Ob reich oder arm, links oder rechts, ob spießig konventionell oder alternativ angepasst, die Gesellschaft schart sich, ein neues Gemeinschaftsgefühl eintrainierend, derart eng um den neuen Götzen, die Identität, dass einem die Lust vergeht, die wieder einmal zum Volk sich zurückentwickelnde Bevölkerung mit der Ansicht zu inkommodieren, die Identitätssuche, zu der sie aufbricht, führe direkt zum ideologischen Räumungsverkauf“. Identität bedeutet für Scharang, konsequent zu Ende gedacht, Stillstand: „Stillstand beim utopischen Ursprung, hinter den es nicht weiter zurückgeht; Stillstand in der utopischen Zukunft, in der, da alle Hoffnung erfüllt ist, das Vergehen von Zeit keinen Sinn mehr hat“.
Margit Schreiner in „Die Presse“, Wien
Sagen, was er sich denkt: Das ist, so scheint es, Antrieb und Ziel Michael Scharangs. Und das möglichst genau, möglichst scharf, möglichst knapp. Mir gefällt seine Art zu denken, seine Unangepasstheit und seine Lust, das Wort wörtlich zu nehmen. Wenn bei ihm vom Zeitungswesen die Rede ist, geht er davon aus, „dass es kein Wesen gibt, das nicht auch erscheint“. Oder er sagt: „Der Endsieg des Westens über den Osten trägt das Ende bereits in sich“.
Ob Scharang recht hat? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß er tut, was (fast) niemand (mehr) tut: Sagen, was er (sich) denkt.