Michael Scharang

 

Zur Emanzipation der Kunst

Inhalt:

Zur Emanzipation der Kunst

Thesen zur Kulturrevolution

Konstruktion und Destruktion eines Themas. Eine Redeübung

Streik. Zu einigen Widersprüchen im heutigen Theater

Übers neue Hörspiel

Zum Begriff der Technik

Ausschnitt aus

Zur Emanzipation der Kunst

Emanzipation ist ein Wort, das gleichgültig läßt. Es bezeichnet keinerlei aktuelle Tendenzen, ist mit keinen gesellschaftspolitischen Vorgängen verbunden. Ist das an sich so, ist Emanzipation schlechthin disqualifiziert, bedeutet Emanzipation etwa nur noch geschichtlich Überholtes? Durchaus nicht. Emanzipation ist nur innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft disqualifiziert. Von dieser Gesellschaft wurde ihr der widervernünftige Inhalt aufgezwungen, ein Befreiungsprozeß zu sein, der die jeweiligen systembedingten Grenzen der Freiheit respektiert. Das beste historische Beispiel hiefür ist die Frauenemanzipation. Das naive Ziel der Bewegung, dem Mann gleichgestellt zu sein, ist doppelt widersprüchlich: der Mann wird weiterhin als Maß der für die Frau relevanten Dinge installiert, die von den Männern bestimmte Gesellschaft wird hingenommen, wobei noch über den Antagonismus dieser Gesellschaft, daß es Herrscher und Beherrschte gibt, hinweggesehen wird. Andrerseits ließe sich sagen, daß diese bürgerliche Emanzipationsbewegung der Frauen durchaus nicht widersprüchlich ist: man wollte Gleichstellung, Gleichstellung innerhalb des Gegebenen, innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft. Ausgespart blieben die antagonistischen Verhältnisse in dieser Gesellschaft, aus denen die Unterdrückung der Frau ganz selbstverständlich hervorgeht; verdrängt blieb folglich, daß die Frau dem Mann nur formal gleichgestellt werden kann, weil das systembedingte Abhängigkeitsverhältnis bestehen bleibt.

Emanzipation in der bürgerlichen Gesellschaft heißt Gleichstellung; das heißt es aber nur in einem sehr formalen Sinn. Denn inhaltliche Gleichstellung ist im Kapitalismus, dem System der Ungleichheit, unmöglich. Man stelle sich vor, die Lohnabhängigen fordern eine Gleichstellung mit den Unternehmern. Das Unsinnige einer solchen Forderung fällt jedem sofort auf. Emanzipation als tatsächliche Gleichstellung, gefordert von den Unterdrückten und Unterprivilegierten, ist im Rahmen des Gegebenen nicht denkbar, zielt auf dessen Veränderung. Auf diesen Prozeß trifft allerdings der Begriff von Emanzipation weniger als der von Revolution. Das macht den Begriff von Emanzipation aber nicht überflüssig, es zeigt nur, daß dieser Begriff nur unter revolutionärem Aspekt Sinn haben kann. Jede konsequente Emanizipation irgend eines Teils der Gesellschaft, eines unterdrückten, an den Rand gedrängten oder zur Zurückgebliebenheit gezwungenen Teils, kommt an den Punkt, wo sie einsehen muß, daß sie sich nur verwirklichen kann, wenn das gesellschaftliche Ganze verändert wird. Emanzipatorische Forderungen und Bedürfnisse gehen über in revolutionäre Forderungen und Bedürfnisse; andernfalls geben sie sich selbst auf. Ein solcher Begriff von Emanzipation wird von der bürgerliche Gesellschaft nicht geduldet, weil er Befreiung meint und nicht bloß Gleichstellung mit etwas, das es schon gibt; weil er nicht auf quantitativ sondern auf qualitativ Anderes aus ist.

Sind in der Geschichte der Kunst emanzipatorische oder revolutionäre Bestrebungen feststellbar oder keins von beiden? Die bürgerliche Antwort darauf lautet: beides ist feststellbar. Die bürgerliche Kunstwissenschaft, -theorie und -kritik lieben es, insbesondere was die Kunst der bürgerlichen Epoche anlangt, von Freiheitsbestrebungen, ja sogar von Revolutionen innerhalb der Kunst zu sprechen. Mit dieser Vorliebe setzen sich Kunsttheorie und -kritik nicht in Widerspruch zur bürgerlichen Gesellschaft, im Gegenteil, bei jeder Gelegenheit dichtet diese Gesellschaft ihrer Kunst - und auch ihrer Wissenschaft - Revolutionen an. Warum sie das macht, ist klar: um vorzugaukeln, daß die Veränderungen, die an der Basis der bürgerlichen Gesellschaft nicht stattfinden dürfen, im Überbau stattfinden. Heißt das, daß in der Überbauproduktion, im besonderen in der Kunstproduktion, keine Veränderuungen stattgefunden haben? Natürlich haben hier, wie auch an der Basis Veränderungen stattgefunden, aber nur solche, die sich im Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft halten. Wirklich nur solche? Ich habe den Verdacht, daß es so ist. Der Verdacht läßt sich schwer mit den Mitteln derjenigen erhärten, die ihn zurückweisen, mit den herkömmlichen Mitteln der bürgerlichen Kunstuntersuchung. Schwer einzig deshalb, weil das eine detaillierte Kritik der historischen und gegenwärtigen Kunstwissenschaft und -theorie notwendig machte. Das ist schon allein deshalb nicht meine Absicht, weil ich meine, daß sich ein so aufwendiges Unternehmen für einen so einfachen Tatbestand nicht lohnt. Der Tatbestand ist einfach, was das prinzipielle theoretische Verhalten der Kunst gegenüber betrifft. Es ist ein Verhalten, bei dem die Kunst sorgfältig herausgelöst wird aus der Gesellschaft, in welcher sie entsteht; bei dem die Kunstproduktion zum Kunstwerk stilisiert wird, an das man sich nach ausschließlich für die Kunst erfundenen Kategorien und Begriffen heranmachen darf. Innerhalb dieses Verhaltens gibt es einige Abstufungen: die Einbeziehung von Gesellschaftlichem im moralisierenden Vergleich von Kunst und Gesellschaft, die Einbeziehung von gesellschaftlichen Kategorien, die von der bestehenden Gesellschaft unkritisch abgezogen werden, im pseudotheoretischen Vergleichen dieser Kategorien mit kunsttheoretischen; die Einbeziehung kritischer gesellschaftlicher Kategorien im unkritischen Verschmelzen dieser mit ästhetischen Kategorien. Jede dieser Verhaltensweisen läuft auf eine Isolierung des Kunstbereichs vom gesellschaftlichen Bereich hinaus, sei es in direkter oder kaschierter Form.

Ich sehe nur eine wirkliche Alternative zu diesen falschen Verhaltensweisen gegenüber der Kunst: die Thesen Walter Benjamins.