Zur Emanzipation der Kunst
Essays
Kritiken
Heinz Ludwig Arnold in der „Deutschen Zeitung/Christ und Welt“, Stuttgart, 27. 8. 1971
Scharang beschreibt die Situation so einleuchtend, wie das mit dieser Souveränität noch kaum einem seiner Kollegen in den letzten Jahren gelungen ist. Das liegt möglicherweise daran, daß er zu den wenigen gehört, die ihren Status reflektieren. Ob er Texte schreibt oder Essays - Scharangs Voraussetzungen und Verfahrensweisen sind dieselben: er verstört und überredet nicht, sondern überzeugt, weil er vielschichtig argumentiert, transparent formuliert und seine Probleme explizierend entwickelt: ein glaubwürdiger, weil ehrlicher Autor.
Helmut Heißenbüttel im „Norddeutschen Rundfunk“, Hannover, 20. 7. 1971
Scharang zeigt in seinen theoretisch komplexen Essays (durch die sich untergründig auch eine Auseinandersetzung mit dem Werk Theodor W. Adornos, bzw. mit der Faszination durch dieses Werk hindurchzieht), wo die neuen Ansätze liegen. Er zeigt es vielleicht am besten in der „Redeübung“: „Konstruktion und Destruktion eines Themas“, in der die philosophische Argumentation wieder in literarische Methodik zurückmündet. Es zeigt sich dort am besten, weil das, was er zeigen will, sich nicht losgelöst in der theoretischen Debatte allein erkennen läßt, sondern nur im Zusammenhang mit dem literarischen Werk Scharangs und auch mit seinem politischen Verhalten. Diese Einheit aber ist nicht das, was früher als die Einheit des sogenannten schöpferischen Menschen galt, sondern sie beruht auf der Einsicht, daß erst in der kritischen theoretischen, literarischen und praktischen Durchdringung der zur Frage stehenden Situation Literatur gemacht werden kann.
Wolfgang Hingst in der „Arbeiterzeitung“, Wien, 6. 11. 1971
Charakteristisch ist die Situation des Schriftstellers, den Scharang als „letzten Heimarbeiter“ sieht, abgeschnitten von den fortgeschritttenen technischen Produktionsmitteln, die von Verlagen und Rundfunkanstalten überwacht werden, Lieferant eines Produktionsapparats, der täglich mühsamer dafür sorgen muß, daß der bürgerlichen Gesellschaft „der letzte Schein von Kultur nicht wegstirbt“. Scharang denkt in seinen Aufsätzen konsequent die ideologiekritischen Ansätze einer permanent revolutionären Gesellschaftsform weiter, „die sich stets gemäß dem jeweiligen Stand ihrer Produktivkräfte neu organisiert“.
Wolf Lepenies in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 11. 9. 1971
Scharangs Essays machen die Misere der Gruppierung deutlich, die Enno Patalas schon vor einiger Zeit als „ästhetische Linke“ beschrieben hat. Insofern sind sie lesenswert auch dort, wo sie zum Widerspruch herausfordern. Darüber hinaus beschränkt er sich nicht aufs Theoretisieren, versucht vielmehr, praktische Konsequenzen aus seinen Thesen zu ziehen. Dies geschieht vor allem in der „Redeübung“ mit dem Titel „Konstruktion und Destruktion eines Themas“ - sie enthält eine eindringliche, in ihrer lapidaren Kürze überzeugende, gleichsam „politökonomische“ Analyse von Gottfried Kellers „Romeo und Julia auf dem Dorfe“ - sowie in den Essays „Streik - Zu einigen Widersprüchen im heutigen Theater“ und „Übers neue Hörspiel“.
Uwe Timm in der „Deutschen Volkszeitung“, Düsseldorf, 14. 10. 1971
Es ist Scharang unbedingt zuzustimmen, wenn er In dem Titel - Essay „Zur Emanzipation der Kunst“ die angebliche Produktionsfreiheit des Künstlers als eine Scheinfreiheit decouvriert, denn tatsächlich ist der Literat zumeist ein von den Massenmedien abhängiger Heimarbeiter. Zuzustimmen ist auch den Konsequenzen, die Scharang aus dieser Bestimmung zieht, daß sich der Künstler organisieren müsse, damit er über die Produktionsmittel, also Fernsehen, Rundfunk, Verlage etc. bestimmen kann, denn erst damit läßt sich eine künstlerische Produktion einleiten, die ein qualitativ Neues ermöglicht und die Kunst radikal politisiert. Eine Forderung, die Walter Benjamin schon 1936 aufgestellt, und die nichts von ihrer Aktualität verloren hat. Wenn aber Scharang sich heute bemüht, die Aura des freien Künstlers zu zerstören, muß man fragen: für wen. Denn diese Erkenntnis, daß die Künstler sich organisieren müssen, um über ihre Produktionsmittel frei verfügen zu können, repetieren inzwischen sogar die L`art- pour-l`art-Dichter. Scharang kommt um 2 Jahre zu spät, denn inzwischen wird nicht mehr die Notwendigkeit der Organisation von Autoren diskutiert; die wird allgemein anerkannt. Die Frage der gewerkschaftlichen Organisation der Schriftsteller, ob eine IG Kultur, wie sie Martin Walser vorschlug oder ein Beitritt in die IG Druck und Papier besser sei, beschäftigt den deutschen Schriftsteller-Verband seit etlichen Monaten.