Michael Scharang

 

Charly Traktor

Anfang des Romans

Das linke Donauufer in Wien ist nicht verbaut. Der breite freie Streifen heißt Überschwemmungsgebiet. Es gibt ein Fremdwort dafür. Charly Traktor hat es einige Male gehört, aber nicht behalten können. Er versucht, sich an das Wort zu erinnern. Es fällt ihm nicht ein. Er greift sich an den Kopf, aber nicht, weil ihm das Wort nicht einfällt. Es gibt ein Fremdwort für das, was mit den Gefühlen zusammenhängt. Er hat es gehört und gelesen und zeitweise auch behalten. Im Augenblick fällt es ihm nicht ein.

Seine Erregung ist ihm lästig. „Ich verhaue mir den ganzen Sonntag.“ Es ist Nachmittag. Der Wind bläst stark. Das ist häufig so in dieser Gegend am Fluß. Es ist ein warmer Wind. Das Gras ist lang, es liegt in der Richtung, aus der der Wind kommt: flußabwärts. Vereinzelt stehen Sträucher. Einige Flächen eignen sich als Spielwiese. Sonst ist der Boden uneben.

Charly Traktor ist in ein Erdloch getreten und hat sich den Knöchel verstaucht. Er ging zurück auf den Pfad neben dem Ufer. Dort störten ihn nicht die vielen Leute, sondern ihr langsames Tempo. Es waren ältere Menschen und Leute mit kleinen Kindern.

Er weicht auf das holprige Gelände aus. Als er schaut, wie weit das Überschwemmungsgebiet sich noch erstreckt, bleibt er stehen, um nicht wieder in ein Erdloch zu treten. Er geht zickzack, mit gesenktem Kopf. Den Mulden weicht er nicht aus, nur den Bombentrichtern.
Charly Traktor hat es satt, nach Löchern Ausschau zu halten. Sie dienen ihm als Vorwand, um sich nicht auf etwas anderes konzentrieren zu müssen.

Er hat im Laufe des Tages mehrmals einen Anlauf genommen, sich auf dieses andere zu konzentrieren. Aber bei jedem Anlauf sind aus der einen Sache mehrere geworden. Er hat die Übersicht verloren. Er sucht eine Ablenkung.

„Wie kommt der Hügel da her?“ Er läuft auf den Schotterkegel, der stellenweise bewachsen ist. Einige Schritte weiter ist noch so ein Hügel. Auf ihm sitzt ein Paar, mit dem Rücken zu Charly Traktor.

Sie wirft den Kopf so weit zurück, daß er glaubt, sie müßte ihn sehen. Er setzt sich. Sie hat eine ländliche Haartracht. Die geflochtenen Haare sind am Hinterkopf zu einem Knoten gedreht. Seine Mutter hatte früher so eine Frisur. Nur glänzten ihre Haare nicht.

Die junge Frau lehnt ihren Kopf gegen den Kopf des Mannes. Der weiße Kragen der Bluse ist über die rote Strickjacke ausgeschlagen.

Charly hofft, daß sie den Kopf wieder zurückwirft. Der Mann neben ihr stützt beide Hände auf dem Schotter auf. Die Hände sieht man nicht, sie sind von den schwarzen Rockärmeln verdeckt. Charly Traktor fragt sich, ob er auch so einen Rock tragen würde, wenn er auf dem Land geblieben wäre. Er streicht über seine Lederjacke. Als er diese Bewegung bemerkt, steckt er die Hand schnell in die Tasche. „Ich komme mir gut vor.“

Er nimmt eine Packung Zigaretten heraus, mit der Öffnung nach unten. Drei Zigaretten fallen zu Boden. Eine rollt den Hügel hinunter. Er holt sie. Als er wieder sitzt, waren die beiden bereits aufgestanden. Er erwartet, daß sie sich nach ihm umdrehen. Sie gehen weg. „Wahrscheinlich haben sie sich schon vorher umgedreht, als ich nicht hingeschaut habe“.

Das Sitzen tut ihm gut. Er ist seit der Früh auf den Beinen. Das Bier, das er sich unterwegs gekauft hat, und die Würstel hat er im Stehen zu sich genommen. Das Rauchen tut ihm nicht gut. Es fällt ihm wieder die morgige Betriebsversammlung ein. Es sticht ihn im Bauch. Charly Traktor erhebt sich halb. „In dieser Stellung bin ich als Kind Schi gefahren“.

Er will sich nicht selbst zum Narren halten: Er gibt den Gedanken auf, ein Papier zum Arschauswischen zu suchen. „Es ist nur die Nervosität“. Er hätte sich gern mit jemandem unterhalten. Er hätte gern das Paar gefragt, woher es kommt. Er hätte gern über die Verhältnisse auf dem Land geredet. Er hätte sich gern als einer zu erkennen gegeben, der auch vom Land kommt.

 

Harry

>>> Leseprobe, siehe Zweitausgabe von Harry