Michael Scharang

 

Wiens Moderne


Was in der Architektur mit Wagner und Loos begann, sich in der Musik mit Schönberg, Berg, Webern fortsetzte, in der Literatur mit Musil und Kraus den Gipfel erreichte: Wiens Moderne, wird nirgendwo so geschändet wie in Wien.

Für Hermann L. Gremliza

Macht zu haben und Macht auszuüben ist schon deshalb verlockend, weil man als Herr angenehmer lebt denn als Knecht. Seit dem Mittelalter war die Herrschaftsform der Feudalismus, er schleppte sich hin bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, und die glosenden Trümmer halfen noch, den Zweiten zu entfachen. Der biologischen Widerstandskraft des Menschen ist es zuzuschreiben, daß die Gattung diese tausend Jahre überlebt hat.

Aber auch dem Umstand, daß die Könige, in Kriege gegeneinander verstrickt, nicht die vollständige Kontrolle über Europa hatten, so daß sich in bestimmten Regionen und Städten sogar Möglichkeiten auftaten für eine Entfaltung der Kunst, der Philosophie und der Wissenschaft. Venedig war ein solcher Ort, Amsterdam ein weiterer, gewiß Florenz, auch Weimar und Hegels Berlin. Und zweimal in diesen tausend Jahren Wien. Immer nur für kurze Zeit, für fünfzig Jahre. Dann aber mit himmelstürmender Intensität.

Die beiden Perioden - die eine begann um 1780, die andere hundert Jahre später - sind in manchem vergleichbar. Die erste, die Zeit der Wiener Klassik, in der musikalische Werke geschaffen wurden von einer bis heute nicht zu fassenden Größe, lebte in der Vorfreude auf eine Revolution, welche dann in Paris ausbrach. Das bürgerliche Selbstbewußtsein, gestützt auf ökonomischen Erfolg, beflügelt von philosophisch-literarischer Aufklärung, beanspruchte, wenn auch von politischer Macht ferngehalten, gesellschaftliche Teilhabe. Und nicht wenige Adelige, die sich vom offenen Horizont der Aufklärung mehr versprachen als von jener geschlossenen Anstalt, welche Hof und Kirche bildeten, sympathisierten mit den rebellischen Bürgern. Das war der Boden, auf dem die Wiener Klassik gedieh.

Hundert Jahre später prescht nicht die Musik vor, sondern die Architektur. Sie bricht mit dem Bauen, wie es nach dem Barock üblich war, räumt auf mit einem Historismus, der die Geschichte zu einem Baumarkt degradierte, in dem man sich Stile aus allen Epochen kaufen konnte. Das Geld, das man dafür ausgab, wurde eingespart bei den Löhnen für die Bauarbeiter. Die fielen vor Hunger reihenweise von den Gerüsten. Die Ringstraße ist nicht nur baukünstlerisch ein Desaster, sie ist auch ein Massengrab.

Die neue Architektur stellt dem luxuriösen Ramsch die klare Form entgegen. Das ist ein Schlag ins Gesicht der Herrschenden. Und der Beginn der Moderne. Wiens Moderne sticht aber auch dadurch hervor, daß eine Kunst die andere mitreißt: die Architektur mit ihrer strikten Auffassung von Baukunst die Musik, die mit der Spätromantik, einer Art Historismus, so radikal bricht, daß die Musikliebhaber sich die Ohren zustopfen, ehe sie faule Eier auf die Musiker werfen. Und beide, Architektur und Musik, reißen die Literatur mit, die sich emporhebt zu einer ernsthaften Schönheit und einer erbarmungslos witzigen Intelligenz – zu einer Sprachkunst, in der es auf jedes Wort ankommt und der Satz die größte literarische Form ist. Das hat es in der Prosa noch nicht gegeben.

Karl Kraus ist der erste, der die Sprache vom Joch der Mitteilung, der Verständigung, der Information, der Kommunikation, somit auch vom Journalismus und der Politik befreit, ohne sie an leere Alternativen zu verraten, die das Kunstgewerbe unermüdlich präsentiert, vom Expressionismus bis zur Konkreten Poesie.

Mozart schuf in den Streichquartetten, die er Haydn widmete, historisch Neues und Unerhörtes. Das Kriterium, an dem er Maß nahm, war außermusikalisch. Das Streichquartett setzte sich zum Ziel, daß vier Menschen von gleich zu gleich miteinander umgehen – als Verwirklichung der bürgerlichen Ideen der Freiheit und Gleichheit. Mozart wuchs in der Quartettkunst über sich hinaus. Es handelt sich hier bekanntlich um das Ende des Musizierens und um den Vorrang der Komposition. Hundert Jahre später gelingt das Karl Kraus in der Literatur. Er setzt in seinem Werk dem Schreiben und Plappern ein Ende und hält dagegen die Sprachkunst, welche der ästhetischen und philosophischen Wahrheit verpflichtet ist.

Parallel dazu Musil. Bewandert in der Naturwissenschaft und in der dieser Wissenschaft nahestehenden Philosophie, entscheidet er sich fürs Erzählen. Denken ist an Erfahrung gebunden, aber nirgendwo so unbedingt wie in der Kunst. Was nicht im Künstler Niederschlag gefunden hat, wird man im Kunstwerk vergebens suchen. Dort allerdings wird Erfahrung, der Inhalt, verwandelt in Form. Denn Kunst ist die Darstellung der Welt – die Philosophie deutet sie, die Wissenschaft analysiert sie.

Darstellung ist immer Erfindung. Jedes Kunstwerk erfindet die Welt neu, die Welt, wie sie war, wie sie ist und, am wichtigsten: wie sie sein könnte. Damit beschäftigt sich Musil. Auch für Karl Kraus ist diese Beschäftigung zentral. Es geht aber nicht nur um die Welt der Menschen. Kraus spricht lieber von der Kreatur. Denn die Menschheitsgeschichte ist Teil der Naturgeschichte. Und die Kunst ist mit der Natur enger verwandt, als die Menschen das wissen. Die Kunst nähert sich der Welt nicht mit Begriffen. Das Außerbegriffliche aber ist das Reich der Natur.

Früher sprach man von der Kunst als dem Nichtidentischen, jener Sphäre, in der eine Sache begrifflich nicht bestimmt, nicht identifiziert werden kann. Die Größe der Kunst von Kraus und Musil besteht darin, daß sie zwar begrifflich nicht zu fassen ist, gleichzeitig aber der Begriff, das Begreifen und Urteilen, ins Werk hereingeholt wird. Daraus resultiert die offene Form. Bessere Beispiele dafür als die „Fackel“ und den „Mann ohne Eigenschaften“ gibt es bis heute nicht.

Die geschlossene Form, das Genre, in Gestalt des Detektiv-, des Geschichts-, des Liebes-, des Abenteuerromans, bleibt blamiert zurück. Darüber, daß das Genre geistig und künstlerisch kriminell ist, tröstet der Umstand hinweg, daß seine Beliebtheit umso mehr zunimmt, je stärker die Aufklärung geknebelt ist und je hilfloser die Gesellschaft an oktroyierter Alternativlosigkeit erstickt. Für die Kunst, die Darstellung der Welt, wie sie sein könnte, wird der Platz eingeengt, für das Kunstgewerbe die Welt geöffnet. Das war die Strategie, mit der man der Wiener Moderne begegnete, als sie trotz allem am Leben und nicht umzubringen war. Das ist die Strategie nach ihrem Hinscheiden. Es soll keine Erinnerung daran geben, was es in Wien vor nicht allzu langer Zeit gegeben hat.

Die Wiener Klassik wurde groß im Vorfeld der bürgerlichen Revolution in Frankreich, genoß dann, Beethoven jedenfalls, die Revolution kompositorisch in vollen Zügen. Doch die alten Mächte, von denen man meinte, sie seien bereits verwest, taten sich zusammen und schlugen Napoleon. Was 1814/15 auf dem Wiener Kongreß von den Mumien ausgeheckt wurde, war die widerwärtigste Konterrevolution der Menschheitsgeschichte. Tausend Jahre Feudalismus wurden um hundert Jahre verlängert. Aufklärung, mitschuldig an der Revolution, wurde unter Strafe gestellt. Der emanzipierte Bürger, Heros der Wiener Klassik, hatte nichts mehr zu sagen. Diesen Zustand haben Beethoven und Schubert in Schmerzensklänge gesetzt. Ein großer Philosoph sagte, man höre Schubert, müsse weinen und wisse nicht, warum. Schubert wußte es.

Das 19. Jahrhundert war ein Alb. Unten ein Bürgertum, das es nicht schaffte, die Oberen zu stürzen, es sich in der Misere aber wohlig einrichtete. Man überließ ihm als Trost die Masse des Proletariats und die Drecksarbeit, unter zahllosen Menschenopfern einen Industriekapitalismus aus dem Boden zu stampfen. Der Industrielle konnte aber noch so reich sein, politisch blieb er machtlos. Um ihn noch mehr zu demütigen, verlieh man ihm Adelstitel.

Die bürgerliche Klasse wurde deformiert. Nach oben hilflos - zur Revolution nicht fähig. Nach unten erbarmungslos - zur Ausbeutung der Arbeiter geeignet. Den Ausweg suchte das Bürgertum im Nationalismus. In einem Nationalstaat hoffte der Bürger, Herr im Haus zu sein. Für seine Verstümmelung rächte er sich im 20. Jahrhundert als Faschist und Nationalsozialist mit Vernichtungskrieg und Völkermord. Die Arbeiterklasse hingegen trat in die Fußstapfen des ehedem aufgeklärten, emanzipierten Bürgers und ging Richtung Revolution, einer sozialistischen. Die fand 1917 in Rußland statt.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war für Künstler und Intellektuelle die Niedertracht des Feudalismus kein Thema mehr, ihr Widerpart war ein an politischer, geistiger und künstlerischer Jämmerlichkeit nicht zu überbietendes Bürgertum. Mit ihm gab es nichts mehr zu debattieren, mit ihm mußte gebrochen werden. Wiens Moderne tat es, egal, ob die Akteure bürgerlich oder antibürgerlich waren. Die Kraft dazu kam aus künstlerischer, aber auch aus gesellschaftlicher Einsicht. Der Feudalismus war tot, die Bourgeoisie lag im Sterben, die Zukunft bestand in einer neuen Form des Lebens und Arbeitens, im Sozialismus.

Die Wiener Klassik ist ohne die Erwartung, welche man in die bürgerliche Revolution setzt, so wenig denkbar wie die Wiener Moderne ohne die Zuversicht, daß es eine sozialistische Gesellschaft geben wird. Die Architektur bricht mit den Verbrechen des Historismus, sie kann aber nichts Neues schaffen ohne Bezug zur Geschichte. Der Bezugspunkt hieß Kornhäusel. Der war, ehe der Historismus zu wüten begann, ein großer Klassizist, dem Deutschen Schinkel ebenbürtig. Aber schon durch die Art, wie man in Wien über ihn sprach, als einen Architekten des Biedermeier, machte man ihn zur Randerscheinung.

Verankert in einer Vergangenheit namens Kornhäusel, vertrauend auf eine Zukunft ohne Feudalismus und Bürgertum baute Otto Wagner Ende des 19. Jahrhunderts eine Stadtbahn von einem Ende Wiens zum anderen. Seine Schüler wirkten entscheidend dabei mit. Diese Bahn war ein Massenverkehrsmittel, wie es das bisher nicht gegeben hatte. Aber nicht die Gleisanlagen und Züge machten das Besondere aus, sondern die Stationsgebäude. Die waren in einem Wien, vollgestopft mit Palais der Alt- und der Neureichen, die ersten Paläste für die Bevölkerung. Sie brachen mit dem Pomp und schufen eine neue Schönheit.

Adolf Loos, das Genie der Moderne, verzehrte sich neben dem Wenigen, das er baute, in organisatorischer Tätigkeit für die Siedlerbewegung, die nach dem Ersten Weltkrieg in Wien wegen der katastrophalen Wohnungsnot anarchisch anschwoll, und in der Organisation der Werkbundsiedlung, ebenfalls am Rand von Wien, wo die besten Architekten der Moderne aus aller Welt je ein Haus bauen und einrichten konnten, ein Projekt, das seinesgleichen nicht hat. In dieser Zeit nahm sich auch die sozialistische Stadtverwaltung der Wohnungsfrage an, und es entstanden die berühmten Bauten des Roten Wien – durchwegs prächtige Exemplare der architektonischen Moderne. Damals hatte man andere Sorgen, als die Architekten zu rühmen. Später wollte man mit diesen Bauten und ihren Architekten, Schülern von Wagner und Loos, nichts mehr zu tun haben.

Die Literatur der Moderne stand ebenfalls vor der Frage, wo in der Vergangenheit es Hilfe gibt, um sich über den literarischen Schmarren der Gegenwart erheben zu können. Karl Kraus fand diese Hilfe bei Nestroy, den er allerdings erst entdecken mußte. Nestroy war der Dichter der Rebellion, sein sprachlicher Aufstand schreckte vor keiner politischen und kulturellen Macht zurück, seine Waffen holte er aus der Sprache selbst, sie reichten vom Faustschlag des Kalauers bis zum Florettstich des Witzes. Kraus fand bei Nestroy alles, was er für sein Vorhaben brauchte, die Macht der Lüge zu brechen und die Lüge der Macht zu sabotieren. Sein Bestreben, Arbeiter als Publikum zu gewinnen, war anfangs erfolgreich, wurde aber von der Sozialdemokratischen Partei mit bösartigen Kampagnen zunichtegemacht – nachdem er dieser Partei nachgesagt hatte, sie sei eine staatlich geförderte Institution zur Vergeudung revolutionärer Energie. Die Wirkung von Kraus reicht übrigens bis ins Innerste der Kritischen Theorie von Adorno, sprachlich, aber auch philosophisch.

Musil litt darunter, daß er ein Publikum suchte, aber keines fand. Er hatte die Naturwissenschaft an die Literatur verraten, traute aber weder dieser noch jener. Sein Spott war grenzenlos, sein Urteil vernichtend. Er war das geistvolle Gegenteil jener geistreichen Wiener Literatur von Hofmannsthal, Schnitzler, Friedell, Polgar, deren Kunst in dem Irrtum bestand, Pointe mit Witz zu verwechseln. Aber selbst zur Pointe gelangte sie erst, als diese, endlos ausgewalzt, schon dahinsiechte. Das gelangweilte Publikum war begeistert - es schmunzelte.

Die Philosophie, von Musil ebenfalls im Stich gelassen, reichte in Wien an die Moderne nicht heran. Sie war Anhängsel der Theologie gewesen, befreite sich davon in einem Kraftakt und endete als Anhängsel der Naturwissenschaft. Den Positivismus, in dessen Armen sie entschlief, hielt sie für etwas Positives. Ebenso kümmerlich die Malerei. Ihr Bruch mit der Historienmalerei, dem alten Kitsch, führte zur Vermählung mit dem neuen Kitsch, der schamlosen Dekoration. Klimt, der Priester, der diese Ehe stiftete, gilt heute noch als Künstler. Ausnahmen wie Richard Gerstl gingen unter.

Leichter hatten es die Komponisten Schönberg, Webern, Berg. Die Musik der Moderne verstand sich als direkte Nachfahrin der Wiener Klassik und konnte sich auf eine Vergangenheit berufen, so grandios, daß sie immer noch Gegenwart war. Verbunden dem Geist der Klassik, brach sie mit allen bisherigen Techniken der Komposition derart radikal, daß sie mit interessiertem Publikum nicht rechnen konnte. Was sie nicht irritierte. Diese Künstler komponierten nicht nur im Geist der Klassiker, sie hatten auch deren Selbstbewußtsein. Das war unerschütterlich. Mozart, Schubert hatten selbst in Momenten des Selbstzweifels oder wenn sie mit dem Desinteresse des Publikums konfrontiert waren, niemals Zweifel am Wert ihrer Arbeit.

Deshalb war, was sich politisch tat, für die Komponisten der Moderne nicht in dem Maß wichtig wie für die Architekten und Schriftsteller. Und doch hat Alban Berg das revolutionärste Kunstwerk jener Zeit geschaffen, die Oper „Wozzeck“. Die Konterrevolution folgte auf dem Fuß. 1933 griff das Bürgertum, das seit hundert Jahren nicht in der Lage war, ein Zeichen der Selbstachtung zu setzen, nach der Macht, schaltete mit einem Taschenspielertrick das Parlament aus und konnte davon ausgehen, daß die Sozialdemokratie sich nicht wehren würde. Womit man nicht gerechnet hatte, war der Aufstand der Arbeiter. Die griffen 1934 zu den Waffen und verloren, von der Führung der sozialistischen Partei im Stich gelassen, den Bürgerkrieg.

Von nun an herrschte der Austrofaschismus. Seine politischen Maßnahmen waren duckmäuserisch und rückwärtsgewandt. Man unterwarf sich der Kirche und schwärmte von einer vorindustriellen Ordnung. Seine militärischen Maßnahmen hingegen waren exemplarisch: Die Artillerie schoß auf den Karl-Marx-Hof, dieses Sinnbild geglückter Zusammenarbeit von Moderne und Arbeiterbewegung. Der Beschuß von Wiens Moderne dauert bis heute an.

Die Austrofaschisten fanden in ihrem missionarischen Bestreben nach einer antimodernen Architektur in Clemens Holzmeister einen Kompagnon. Sein Wirken gipfelte in einem Gebäude für den Rundfunk – einer mittelalterlichen Burg, deren freundliches Foyer darüber hinwegtäuscht, daß die Räume Kammern sind mit Fenstern, welche Schießscharten gleichen. Daraus feuert der Staats-und Kirchenfunk bis heute seine Propaganda, eine antimoderne und antikritische Schlammlawine. Die wiederum ist das Lebenselixier des Kulturmenschen, der, halbgebildet und hetzerisch, die geistige Vorhut für den organisierten Rechtsextremismus bildet. Holzmeisters Schüler übrigens verschandeln mit einem unnachahmlichen Stil aus Vor- und Postmoderne Wien bis auf den heutigen Tag. Sie fallen dadurch auf, daß sie architektonisch nicht auffallen und Ödnis verbreiten. Um das wettzumachen, greifen sie zur Gewalt des Designs, die einen buchstäblich in die Augen sticht.

Nach der Nazizeit wollte man in Österreich zeigen, daß man auch ohne die Deutschen wer ist, und machte sich auf die Suche nach dem Österreichischen. In der Literatur stieß man, ohne gesucht zu haben, auf Doderer, diese politisch und geistig geglückte Mischung aus Nazi und Austrofaschisten, künstlerisch in der Beamtensprache zu Hause und dem Aussehen nach die Karikatur eines Altösterreichers. Er stand und steht für das typisch Österreichische. Immer mehr heutige Autoren streben ihm nach.

Der Recke, der sich als Ziel setzte, daß die Musik der Moderne nach 1945 nicht auf sich aufmerksam machen und junge Komponisten nicht im Geist dieser Musik heranwachsen konnten, hieß Einem. Nach anfänglichem Widerstand obsiegte er. Das meiste, was heute komponiert wird, fällt, sofern das möglich ist, sogar hinter Einem zurück und lebt notdürftig von Anleihen bei der Antimoderne: bei Strauss, Orff, Strawinsky, oder beim Jazz.

In diesem Milieu des typisch Österreichischen, zu dessen Wesen der antiösterreichische Rülpser ebenso gehört wie der antidemokratische Furz, entstand eine Avantgarde, die faschistoide Züge trug und sich nicht gegen die Moderne stellte, sondern den Anspruch erhob, die Moderne zu sein. Autoren, die sich auf diesem Weg befanden, schlossen sich zur Wiener Gruppe zusammen, andere, Allerweltskünstler, feierten die Geburt des Wiener Aktionismus. Und über allen thronen die Meister dieser Avantgarde, ein Maler, der Bilder übermalt, und einer, der Farben auf die Leinwand schüttet und das Ergebnis Schüttbilder nennt. Die Bevölkerung, die sich früher über schwer verständliche Kunst echauffiert hat, atmet auf. Sie versteht und verstummt. – Und Wiens Moderne? Die Erinnerung an sie gibt einem Kraft, die Jauche zu beschreiben, in der die Moderne versenkt wird.