Schund und Schaum
Kritk an Ronalds Pohls Roman „Die algerische Verblendung“
Graz war in den sechziger und siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts das literarische Zentrum der deutschsprachigen Länder. Deren Verlagsprogramme, nicht selten auch das Programm des Ostberliner Aufbau-Verlags, wurden von Romanen österreichischer Autoren bestimmt, die aus dem „Forum Stadtpark“ kamen oder diesem nahestanden und die in Alfred Kolleritschs „manuskripten“ publizierten. Auch die Redeschlachten über Wege der Literatur fanden in Graz statt.
Zentren, insbesondere künstlerische, haben es an sich, zu zerfallen, schon weil der lebendige Begriff der Kunst mit dem toten Begriff des Zentrums unvereinbar ist. Hin und wieder macht einem die Geschichte sogar den Gefallen, ein genaues Datum für das Ende einer Epoche zu liefern. Die Zeit für Graz als Stadt der Literatur lief ab, als im Februar 2007 Ronald Pohls Roman „Die algerische Verblendung“ im Grazer Droschl Verlag erschien, in einem Verlag, dessen Existenz auf dem Image von Graz als Literaturstadt beruht. Wer in Zukunft von Graz und von Literatur sprechen will, wird stattdessen mit Schaudern an Pohl denken müssen. Dessen Roman schlecht zu nennen, wäre eine Beleidigung unzähliger anderer schlechter Bücher. Er ist exemplarisch schlecht. Man ist fassungslos, wie jemand es schafft, jeden so lange mit Eigenschaftswörtern zu traktieren und mit Vergleichen zu quälen, bis er tot zurück bleibt.
Doch damit gibt Pohl sich nicht zufrieden. Zwanghaft muß die Unfähigkeit zu schreiben auch noch weltanschaulich betont werden, und so läßt er den Verfasser des Klappentextes vom Menschenhaß des Autors schwärmen und von dessen politischer Inkorrektheit, wo es sich doch bloß um das modische Poltern eines Spießers handelt, letztlich um handelsüblichen Haß auf Frauen. Autor und Lektor ruhen nicht, ehe der Beweis geradezu naturwissenschaftlich erbracht ist, daß jemand, der nicht imstande ist, einen Satz zu formulieren, den Gedanken, den er in der Sprache nicht findet, außerhalb der Sprache vergeblich sucht. Als Ahnherr für diesen Unfug wird im Klappentext zu Recht Doderer genannt, dessen abstruse Leistung, Verwaltungssprache und Bürokratenphanatsie in Romanform zu zwingen, den Liebhabern staatlich geregelter Ausschweifung als Literatur gilt.
Der Klappentext, der sich liest, als wäre er von Pohl selbst verfaßt, verrät alles über den Roman - in einer Deutlichkeit, daß die bescheidenste Selbstreflexion den Autor hätte veranlassen müssen, dieses Buch nicht zu veröffentlichen. „Der Algerienfranzose Meursault aus Camus’ Roman Der Fremde ist in Pohls Buch ein Handlungsreisender mitten im algerischen Unabhängigkeitskrieg der frühen 60er Jahre (…) Mitten in Dreck und Getümmel kommt Meursault hinter das Geheimnis seiner Herkunft.“ Wie muß dieser Mann aufgeatmet haben, als er erfuhr, daß er nicht in Pohls Buch zu Hause ist.
Eine Figur aus einem Roman zu nehmen und in einen anderen zu implantieren, ist eine papierene Operation, die nur jemand vornimmt, der wie der Autor, der als Beruf Theaterkritiker und Feuilleton-Redakteur in Wien angibt, selbst eine papierene Existenz ist. Der Rollenwechsel vom Kritiker zum Redakteur, an Dramatik nur zu übertreffen von dem Erlebnis, von der einen Seite einer Straße auf die andere zu wechseln, dürfte den Autor zu dieser Konstruktion animiert haben – was letztlich keine Rolle spielt, da in einem Buch, in dem jeder Satz sich sprachlich selbst liquidiert, die Geschichte, ehe sie erzählt wird, im Wortgemetzel des Autors untergeht.
Obszön ist es, sich ausgerechnet des Romans Der Fremde zu bedienen, der ostentativ auf sprachliche Klarheit setzt, wohingegen Pohl an einem Sprachdurchfall leidet, der in der Psychopathologie der Literatur einzigartig ist. „Nicoles Mund war in den seltenen Augenblicken des Überdrusses zu einem gelblich roten Strich gefroren, von dem Hautfetzen, klein wie Hornschüppchen, herabhingen - sie wurden von ihren Atemstößen wie Libellenflügel bewegt, oder wie trocknende Anzugsproben für Schneewittchens siebenstimmige Kavaliersschar.“
Wenn man nicht weiß, wie man eine Sache darstellt, flüchtet man in das „Wie“. Dort veranstaltet Pohl einen Ausverkauf des Vergleichs. Wo alles mit jedem verglichen wird, gibt es in der Tat weder ein logisches, noch ein sprachlogisches Innehalten, sondern nur die Raserei der Beliebigkeit: Schaumschlägerei statt Literatur. Und wo der Mund gefriert, das ist die ewige Regel in der Weltschmerzprosa der Schülerzeitungen, wie sie vor allem im Fasching erscheinen, dort erbricht sich das Auto. Selbstverständlich auch bei Pohl. Bei ihm ist es ein Kastenwagen, „der binnen kurzem die Mahagonimöbel verschluckte, (…) ehe er (…) dem nächsten Hafen zustrebte, wo er sich über eine Ladeluke geräuschvoll erbrach“. Der Verlockung, zu sagen, das sei zum Kotzen, gebe ich nicht nach; es ist nicht einmal das.
Der Werbetexter, früher Lektor genannt, behauptet, daß Pohls „Beschreibungsfülle auf eine im Kern leere, unmenschliche Welt“ verweise. Erstmals in der Naturgeschichte ist zu beobachten, wie eine Fülle auf eine Leere verweist. Der Hoffnung allerdings, daß eine leere Welt auch menschenleer ist und deshalb gar nicht unmenschlich sein kann, sollte man sich nicht zu früh hingeben. Denn Pohls Ausrottungsphantasie braucht Menschenmaterial, und seien es ein paar Kinder, die auch noch weggehören. „Er brachte einfältige Buben mit nougatbraunen Segelohren dazu, frei liegende Starkstromkabel zu berühren; die verschmorten Kinder, deren entgleiste Gesichtszüge festgefroren schienen, würdigte er keines weiteren Blickes.“ Aber auch hier begeistert Pohl sich weniger am Töten als an der Phrase. Wie in jedem Schundroman müssen die Gesichtszüge zuerst entgleisen und dann festfrieren.
Nichts erregt die Ausrottungsphantasie, Produkt maßloser Feigheit, mehr als die Vernichtung und Demütigung Wehrloser. Sind die Kinder endlich tot, ergötzt man sich an Blinden. „Er lehrte mich die kleine
Unart, alten Bettlern so ins Gesicht zu spucken, daß diese ihre oftmals milchig trüben, vom Star zerstörten Augen empört gen Himmel wandten, als hätte sie ein Vogel besudelt.“
Redakteur Pohl macht aus der verständlichen Tatsache, daß er sich nicht leiden kann, einen Menschenhaß, und aus dem traurigen Anlaß, daß er nicht schreiben kann, einen Roman. Als Werbegeschenk bekommt man „politisch äußerst inkorrekten Humor“, also doppeldeutige Witzchen eines eindeutigen Spießers, der den Furz, den er in der Redaktionsstube nicht lassen darf, im Roman läßt. Wozu diese literarische Form eigentlich nicht geschaffen wurde.
„Die Presse“, Wien, 24. Februar 2007
„Konkret“, Hamburg, April 2007