Michael Scharang

 

Literatur als Erbauung

Wider Paulus Hochgatterer


Schlechte Literatur ist dann bemerkenswert, wenn sie exemplarisch schlecht ist. Insofern lohnt die Beschäftigung mit den Texten von Paulus Hochgatterer. Gewöhnlich schreiben Autoren Geschichten. Hochgatterer aber schreibt Geschichte. Er degradiert Literatur zur Erbauung und bringt sie so auf einen neuen Tiefstand. Die Hoffnung, der Einmarsch der Kabarettisten in die österreichische Literatur sei der Gipfel literarischer Primitivität, wurde enttäuscht.

Die Qualität eines Textes erweist sich an seiner Sprachgestalt. Die sprachliche Arbeit des Schriftstellers ist nicht nur eine künstlerische Leistung. An dieser Arbeit, und nur an ihr, ist auch seine Menschlichkeit erkennbar. Hochgatterer demonstriert, daß es auch anders geht. Sein Ziel ist nicht Kunst, sondern deren Gegenteil, Kommunikation. Er tritt einem gegenüber als Vertreter, der sein literarisches Glumpert loswerden will.

Hochgatterer stellt der Geschichte, die er noch nicht erzählt hat, Werbung voran, Eigenwerbung, und interpretiert die Erzählung, ehe man sie gelesen hat. Der Autor zwingt einem ein Urteil über eine Sache auf, die man noch nicht kennt. Das ist unverfroren.

Zudem setzt er auf den billigsten Effekt, die Erbauung: auf Rührseligkeit statt Rührung, auf Gefühlskitsch statt Empfindung. Der Einwand, er sei nur Nebenerwerbsschriftsteller, von Beruf aber Kinderpsychiater, zählt nicht, da Hochgatterer das Vermischen der beiden Sphären, das Literarisieren der Psychiatrie und die Psychiatrierung der Literatur, zu seinem Geschäft macht und irrtümlich meint, auf diese Art gegen Kritik von beiden Seiten gewappnet zu sein.

Das Gegenteil ist der Fall. Mit dem Verramschen von psychiatrischen Fallstudien zu literarischem Schund stellt Hochgatterer sich als Psychiater und als Schriftsteller in Frage. Die Fallstudie ist ein Fallstrick. Die wahre Begebenheit, mit welcher der Autor auftrumpft, ist eine Kategorie der Klatschpresse, nicht der Literatur.

Kunst ist bekanntlich frei von der Lüge, wahr zu sein. Das Pochen darauf, eine Begebenheit sei wahr, ist in der Kunst immer ein Indiz für Verlogenheit. Bei Hochgatterer kommt hinzu, daß er von Berufs wegen Menschen zu helfen trachtet. Ein Schriftsteller hätte über diese Menschen etwas zu erzählen. Ein Hochgatterer verstümmelt das Erzählen über diese Menschen zur launigen Anekdote. Außerdem redet er unter dem Vorwand, über andere zu sprechen, in geradezu pathologischer Geschwätzigkeit über sich selbst.

Kitsch ist die Kunst, Menschen von der Kunst fernzuhalten. Er ist das Vehikel der Gegenaufklärung. Und die ist das geistige Rüstzeug des Neuen Dreißigjährigen Kriegs, der über Europa hereingebrochen ist. Damit die Kapitallogik noch einmal triumphiert, müssen die Vernunft zerstört und die Bevölkerung ausgeplündert werden. Bleiern liegt der Nebel der Erbauung über dem Desaster, damit man es nicht sieht. So ist der Erbauungsliterat doch für etwas gut.


„Die Presse, Spectrum“, Wien, 23. 6. 2012