Liberalismus ist die Spottgeburt von Freiheit
Über Wolfgang Müller-Funk und dessen Eindreschen auf Rudolf Burger
Das kleine Wort Liberalismus ist eine große Lüge. Es verheißt eine Freiheit, die in Unfreiheit endet. Es verspricht die freie Entfaltung der Menschen und meint doch nur den freien Markt, auf dem wenige die Freiheit haben, den anderen die Erträge ihrer Arbeit zu stehlen. In seiner Spätphase plündert der Liberalismus auch noch die Staatskassen, läßt sich vom verachteten Staat die Spekulationsverluste erstatten und erhebt seine Verbrechen zur gesellschaftlichen Norm. Voraussetzung dafür ist ein politisches Personal, das nachplappert, was man ihm vorsagt, und Medien, denen man vorsagt, was sie nachzuplappern haben.
Da der Liberalismus ausgedient hat, muß er sich, um zu überleben, zum ideologischen Terror entschließen. Wer diesen Vorgang stört, indem er ihn kritisch darstellt, wird abgeschossen. Jüngstes Opfer ist Rudolf Burger. Er zeigte, daß heute fast alle Menschen Liberale sind, „gleichgültig, welche politische Richtung oder Partei sie präferieren“ („Spectrum“ vom 26. März). Über den politischen Parteien schwebt die Einheits-Partei des Liberalismus, dessen Zwangsmitglied man ist, ehe man sich für eine politische Richtung entscheidet. Die Wahl fällt schwer, da jede Partei zuallererst liberal sein muß und unter diesem Zwang ein eigenes Programm nicht entwickeln kann. Es ist nicht eine reale Diktatur, die den demokratischen Parteienstaat liquidiert, es ist die ideologische Diktatur des Liberalismus, welche die Demokratie lähmt. Ein neuer Typus entsteht: der demokratische Faschismus.
Dessen intellektuelle Schlägertypen sind bereits unterwegs. Die Art und Weise, wie Müller-Funk, Kulturphilosoph, auf den Philosophen Rudolf Burger eindrischt, hat neue Qualität („Spectrum“ vom 2. April). Dem Inhalt nach ist Müller-Funks Artikel das Gestammel eines Bildungsspießers, der seine sprachliche Plumpheit für Ironie hält. Kraft bezieht das Ganze aus der Form. Es ist die der Denunziation.
In der deutschsprachigen Publizistik nach 1945 findet sich kein Text, der wie jener von Müller-Funk ausschließlich aus Denunziation besteht und in dem eine Verleumdung, kaum hingeschmiert, von der nächsten übertrumpft wird. Der Gegner wird nicht bekämpft, sondern beschmutzt.
Müller-Funk weiß allerdings auch, daß er Burger nichts anhaben kann; daß seine erbärmlichen Anwürfe an dessen Werk zerschellen. Das steigert die Wut. Dazu kommt, daß Burger in seiner Arbeit dargestellt hat, daß heute alles Kultur ist und diese sich deshalb in nichts auflöst. Dadurch löst sich auch der Kulturphilosoph Müller-Funk in nichts auf - was seine Wut ins Unermeßliche steigert.
In dieser Hochstimmung läßt er sich zu einem Geständnis hinreißen. Er müsse gestehen, Burgers Essay „mit Kopfschütteln“ gelesen zu haben. Nun weiß man wenigstens, wozu der Kulturphilosoph den Kopf braucht: zum Schütteln. Ob vor oder nach dem Gebrauch, bleibt offen.
„Die Presse, Spectrum“, Wien, 9. 4. 2011
„Konkret“, Hamburg, Mai 2011