Michael Scharang

 

Künstler, Kritiker, Voyeure
Antwort auf die heftigen Reaktionen, die in der „Presse“ nach der Kritik an Pohls Roman erschienen.

Kunst ist Gestaltung der Welt. Gestalten heißt verändern. Die Welt, wie sie im Kunstwerk erscheint, ist immer eine veränderte Welt. Dieses Moment des Veränderns der Welt  ist der Grund, daß die Herren, wenn auch argwöhnisch, sich intensiver für Kunst interessieren als die Knechte. Es gibt aber von jeher auch Kunst, welche bewußt vor den Herren buckelt und die ohnedies Geknechteten nochmals verhöhnt. Dazu zählt meiner Ansicht nach Pohls Roman.

Ich hielt dagegen: keine Rezension, sondern Kritik. Kritik unterliegt wie das Kunstwerk ästhetischem Anspruch. Es kommt nicht auf den Inhalt an, sondern auf die Form, welche allerdings, wenn sie nicht leere Form ist, durch Ablagerung des Inhalts zustande kommt. Ich setzte der ästhetischen Welt Pohls meine ästhetische Welt entgegen. Zwei Positionen, mit der Welt umzugehen, fauchen einander an.

Nun stehen ein Roman und die Kritik daran zwar schroff gegeneinander, sie stehen aber nicht allein im Dunkeln, sondern die Kritik wirft ein grelles Licht auf den Roman - und umgekehrt. Die Ästhetik des Romans, bloßgestellt von der Kritik, widersetzt sich kopfschüttelnd der Ästhetik der Kritik.

Eine für den Leser interessantere Konstellation ist nicht denkbar. Er kann daran seine eigene Stellung zur Welt überprüfen, er kann, wenn es ihn nicht zur Stellungnahme drängt, sondern zur Überlegung, sich an dem Gegensatz erfreuen, ja er kann, wenn er zu den Eifrigen zählt, daraus lernen.

In dieser Sache sind Autor und Kritiker eine Partei, der Leser die andere. Die dritte wird vom Voyeur gebildet. Er ist der einzige Beteiligte, der sich nichts denkt, und ist deshalb nicht wegzudenken. Gähnend meldet sich ein Herr
Czernin zu Wort: „Man muß Pohls Roman nicht gelesen haben.“ Entzückend. Daß die Leidenschaft eines Autors und die eines Kritikers aufeinanderprallen, kümmert den Voyeur nicht. Er macht aus der Sache einen Fall und daraus einen Skandal. Während Autor und Kritiker sich um Wirkung bemühen, sorgt der Voyeur für Stimmung. Versteckt hinter der vorgehaltenen Hand, tut er kund, daß es nach dem Bankenskandal, der niemanden mehr interessiert, endlich einen Literaturskandal gibt.

Am Skandal interessieren nicht Gründe, sondern Hintergründe. Und zu diesen hat der Voyeur als Mensch im Hintergrund direkten Zugang. Es ist deshalb besser, ich nenne die Hintergründe selbst, übermorgen würden sie ohnedies in der Zeitung stehen:

Ronald Pohl lebte viele Jahre mit meiner nunmehr 50jährigen Tochter Mathilda zusammen. Das Paar hat drei Kinder. Ich tat alles, damit aus dem Paar ein Ehepaar wird. Ich verkaufte gegen den heftigen Widerstand Max Droschls meine Aktienanteile am Grazer Droschl Verlag und schenkte sie Pohl. Er dankte es mir, indem er Frau und Kinder verließ, und mit dem Hinweis auf mein Ölfeld in der Obersteiermark verweigert er die Zahlung von Alimenten. Damit nicht genug, mietete er sich Anfang dieses Jahres oberhalb meiner Wohnung ein, wo er fortwährend mit Holzpantoffeln umherhüpft, um mich bei der Arbeit zu stören. Da riß  mir die Geduld. Ich kaufte mir Pohls Roman und schrieb darüber eine Kritik. - Zu jedem Geständnis gehört das Versprechen, sich zu bessern. Ich lege es gern ab: Die Sache reut mich und freut mich.

 

„Die Presse“, Wien, 6. März 2007
„Konkret“, Hamburg, April 2007