Über Hermann L. Gremliza
Für Brecht war Kraus der erste Schriftsteller seiner Zeit. Karl Kraus, dem Dichter, war das Wort der Geist; er ficht mit dem Wort gegen den Ungeist, um die Zermalmung der Kreatur anzuklagen, die im Namen der Humanität sprachlich so lange betrieben wird, bis die Menschlichkeit inhuman verendet. Bertold Brecht, dem Kämpfer, war der Geist das Wort; er ficht mit dem Begriff gegen die geistlose und somit unmenschliche Realität, und er ficht poetisch, weil das Bild des Grauens, der reine Schrecken, nur in der Milderung des Sinnbilds sich darstellen läßt. Es war eine schöne, weil nicht beabsichtige, aber objektiv noch mögliche Arbeitsteilung, in der Kraus und Brecht zugleich eng verbunden und tief getrennt ihre Arbeit machten. Diese Zeit ist vorbei.
Hermann L. Gremliza ist der exemplarische Typus des heutigen Schriftstellers, der alles selber machen muß, das Lehrstück, die Satire, den Essay, die sprachverliebte poetische Glosse und die Polemik gegen die Menschenverachtung, die sich aufwendig als Verachtung der Sprache zu erkennen gibt, ehe sie sich zum simplen Todschlag gequemt. Nicht weil er sich das alles aufbürdet, steht Gremlzia allein da, sondern weil ihm das alles aufgebürdet wird.
Der nachbürgerliche Kapitalismus dieser Tage liqudiert seine frühbürgerliche Basis, die Arbeitsteilung, und ernennt jedes Mitglied der Zwangsgemeinschaft, auch das deklassierteste, zu einem Unternehmer, der sich entweder durchschlägt oder untergeht. Dieses humanistische Programm ist dank der Sozialdemoktaie, die man sich zu diesem Zweck gehalten hat, der Arbeiterklasse erfolgreich oktroyiert worden. Proletariat und Lumpenproleratiat kämpfen unternehmerisch ums Überleben von einem Tag auf den anderen.
Neu und originell ist, wie der kümmerliche Rest an bürgerlicher Intelligenz, den man als aparte Opposition ertrug, nun ebenfalls, da der Kapitalismus sich als die beste aller Welten versteht, die Widerspruch weder braucht noch duldet, zum Gaudium der Herrschenden auf jenen Markt geworfen wird, den es nicht mehr gibt. So sieht sich die Intelligenz, die sich für ein belebendes Element der Herrschaft hielt, unvorberbereitet als neue Klasse wieder, als Lumpenbourgeosie. Sie gerät darüber nicht in Entzücken, sondern in Panik.
Noch nie wurde dieses Phänomen so treffend dargestellt wie in Gremlizas Lehrstück über den Herrn Justust W., einen „zum Mehrwertmullah konvertierten Exkommunisten“, der sich in rasener Verzweiflung, vielleicht doch noch von den Herrschenden gebraucht zu werden, auf einem nicht existierenden Markt windet, in der Hoffnung, daß seine Verrenkungen, die er für solche des Geistes hält, wahrgenommen werden.
Gremliza registriert sie unnachsichtig und belustigt. Und so hat Justus W. immerhin im Register der Schmach einen fixen Platz.
„Konkret“, Hamburg, Oktober 2008