Das rasante Tempo des langsamen Niedergangs
Ein Manifest
Zwischen dem Ende des Feudalismus und einer künftigen Gesellschaft breitet die bürgerliche Epoche sich aus als Schlachtfeld, auf dem es insofern bürgerlich gemütlich zugeht, als die Länder sich zwischen den militärisch geführten Kriegen an bloßen Finanzkriegen, den Wirtschaftskrisen, ergötzen.
Zum Glück verliert das vielgerühmte Bürgertum in demselben Maß, in dem es zu einer kriminellen Clique schrumpft, die Kraft zum Krieg; beginnt es dennoch einen, hat es ihn schon verloren. Mit der verbliebenen Energie führt es Finanzkriege, die sich immer auch gegen den Aggressor selbst richten und in denen das Bürgertum als dominante Klasse samt seiner Scheindemokratie untergeht.
Ökonomische Krisen sind auch gesellschaftliche, und insofern riskant. Gibt es in einer Gesellschaft revolutionäres Potential, wird die herrschende Schicht, um sich nicht zu gefährden, eine Wirtschaftskrise vermeiden oder aber, ist sie unvermeidbar, eindämmen. Gelingt es aber, die revolutionären Kräfte niederzuhalten und an ihre Stelle eine Sozialdemokratie zu setzen, deren linker Flügel der Revolution zwar nicht abgeneigt ist, doch nur unter der Bedingung, daß sie zum richtigen Zeitpunkt stattfindet, also nie, dann kann man ungefährdet eine Wirtschaftskrise nicht nur zulassen, sondern sogar inszenieren, mit Aussichten auf Gewinne, wie sie sonst nicht zu erwirtschaften sind; denn die Geldströme der Steuerzahler versiegen auch dann nicht, wenn das Kartenhaus der Spekulanten einstürzt.
Die Wirtschaftskrise seit 2007 ist der erste Finanzkrieg in der Geschichte, der nicht als Unglück über die Menschheit hereingebrochen, sondern von der Finanzindustrie zwanzig Jahre lang vor aller Augen geplant worden ist. Kritischen Köpfen ist nicht entgangen, was sich anbahnte, und sie haben auch gewarnt. Kritik aber hat in dieser Öffentlichkeit keine Funktion. Man muß sie nicht verbieten, da sie ohnedies nicht gehört wird. Ihre nachdenkliche Stimme geht im dröhnenden Mainstream unter.
Jeder, der heutzutage in der Öffentlichkeit steht, der Journalist, der Politiker, der Wissenschaftler, legt Wert darauf, dem Mainstream anzugehören. Fragwürdig ist nicht, zu sagen, was alle sagen, wohl aber, zu sagen, was die Macht, in diesem Fall die Finanzindustrie, vorkaut. Wer unter diesen Bedingungen sozial aufsteigt, repräsentiert geistigen Abstieg: der angesehene Universitätsprofessor ist unter den angepaßten Hohlköpfen der angepaßteste, der tonangebende Publizist unten den gekauften Schwadroneuren der billigste. Das gemeinsame Merkmal der Auserlesenen: Sie müssen den geistigen Schund, den sie produzieren, fortwährend anpreisen. Für unhaltbare Zustände Reklame machen - so sieht politisches Engagement heute aus.
In Österreich ist das Zentralorgan des Mainstreams der Radiosender Ö1, der sich zu Recht Kultursender nennt, bezeichnet Brecht doch die Kultur als einen Palast, der aus Hundsscheiße gebaut ist, eine Definition, die Adorno genial findet. Ö1 ist die öffentlich-rechtlich geglückte Einheit dessen, was auf dem Zeitungsmarkt noch als liberale und faschistoide Strömungen auseinandertreibt, eine Einheit, deren Kitt eine alles verstehende und nichts begreifende Geschwätzigkeit ist. Das aufmüpfige Kuschen vor der Macht wird als couragiert und weltoffen zelebriert. Um dafür genug Personal zu haben, werden von Ö1 sogar eigene Autoren und Philosophen großgezogen.
Die gewöhnlichen Medien, welche die Menschen nicht auch noch mit Kultur täuschen, entfachen einen Sturm, der als große Verheißung über die Welt fegt: Der Markt, Segensbringer der Menschheit, müsse von allen Fesseln befreit werden, damit er seine wohltätige Wirkung entfalte. Um die Welt derart zu übertölpeln, brauchte es weltpolitische Voraussetzungen: das Ende des Kalten Krieges, die Kapitulation der Sowjetunion.
Dem Kapitalismus im Westen mit seiner jahrhundertelangen Erfahrung stand nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, nach Hitlers Versuch, die Sowjetunion auszulöschen, ein Sozialismus gegenüber, der, in der russischen Revolution zur Welt gekommen, nie das Empfinden haben konnte, tatsächlich zu existieren - ihm wurde die Existenzberechtigung abgesprochen -, weshalb er sich real existierender Sozialismus nannte. Er kannte nichts als Krieg und wurde zutreffend als Kriegskommunismus bezeichnet. Als der Westen ihm vorgaukelte, man könne friedlich miteinander umgehen, überlegte der Osten einen Augenblick lang, ob das angesichts der Gegensätze möglich sei. Noch während er überlegte-Räsonnement wird von der Wirklichkeit geahndet-, verschwand er. Vorläufig. Es wäre auch ungerecht gewesen, hätte der Sozialismus im ersten Anlauf gewonnen, benötigte der Kapitalismus doch Jahrhunderte, um auch politisch an die Macht zu kommen.
Sein Sieg über den sozialistischen Osten - den europäischen, nicht den asiatischen! - legte die ganze Kraft des Kapitalismus frei, also auch seine Kraft zur Selbstzerstörung. Die Meinung, er müsse, wenn er keinen sozialistischen Gegner habe, auf eigenem Territorium von den jeweiligen Regierungen gebändigt werden, ist weitverbreitet, allseits beliebt und grundfalsch. Der Kapitalismus ist an sich zerstörerisch, durch Ausbeutung, Kolonialismus, durch Krieg gegen andere kapitalistische Staaten; am Ende, wenn er in einem Überfluß an Kapital, das nicht mehr veranlagt werden kann, zu ertrinken droht, schlägt er in Todesangst um sich; und erfleht Hilfe von dem Gemeinwesen, das er soeben zerstört.
Um die derzeitige Krise, den Finanzweltkrieg, zu verstehen, muß man das gebetsmühlenartige Grundgeräusch - es setzt sich aus zwei Wörtern zusammen: Banken und Wirtschaft und Wirtschaft und Banken und Banken und Wirtschaft - ignorieren. Denn die Krise reicht weit übers Ökonomische hinaus. Es existiert keine Sphäre des Wirtschaftlichen mehr, in der man ein paar Stunden lang seinen Lebensunterhalt verdient, um sich dann dem sogenannten eigentlichen Leben zu widmen.
Der Kapitalismus ist ein aufs Ganze gerichtetes System, das alles verwertet und kontrolliert, geheimste Wünsche wie entlegenste Bodenschätze. Dieses Monster verlangt danach, bekämpft und gestürzt zu werden. Marx stellte den Kapitalismus als eine Produktionsweise dar, auf die man ihrer Widersprüche und Unzulänglichkeiten wegen nicht bauen kann. Die Alternative, die sich in Jahrzehnten, in Jahrhunderten, durch Revolutionen ebenso wie in abenteuerlichen Experimenten herausbildet, nannte er Kommunismus.
Der ist, jedenfalls in der ursprünglichen Theorie, nicht weniger universell. Dazu unduldsam wie kaum ein anderer politischer Entwurf; doch nicht aus Fanatismus, sondern aus gutem Grund. Der Kapitalismus ist der ideale Gegenstand, an dem die Tragödie einer Entwicklung abzulesen ist, in welcher der Mensch immer bessere Bedingungen für sein Leben schafft, die ihm aber nicht zugute kommen, weil, vergleichbar dem Raubrittertum, eine auf Waffengewalt gestützte Kaste die Ressourcen an sich reißt.
Daß Menschen sich vor der Macht ducken, um zu überleben, ist eine Sache; eine andere, aus dem Duckmäusertum ein Parteiprogramm zu machen, auch wenn das Entgelt dafür erklecklich ist. Die Sozialdemokratie und ihre grünen und zivilgesellschaftlichen Abkömmlinge, deren Ideologie das Duckmäusertum ist, entpolitisieren die Gesellschaft und schauen dann entgeistert, vielleicht auch schadenfroh, der Ausplünderung jener Mehrheit zu, die über einen von Jahr zu Jahr kleineren Teil jenes gesellschaftlichen Reichtums verfügt, den sie erarbeitet.
Von innen nicht gefährdet, von außen nicht attackiert, verliert der Kapitalismus den Bezug zur Wirklichkeit und gerät in Raserei. Dabei wird das schreckliche Alte: Sklavenarbeit, Ausbeutung und Arbeitslosigkeit, durcheinandergewirbelt mit dem glitzernden Neuen: den schicken Innovationen der Saison, fälschlich Fortschritt genannt. Und die Zirkusdirektoren der Finanzindustrie schwingen die Peitsche über die Verängstigten, die auf den Arbeits- und in den Supermärkten in Deckung gehen, in der vergeblichen Hoffnung, der nächste Hieb möge nicht schon wieder sie treffen.
Kapitalismus und Sozialismus wurden im 19. Jahrhundert als universell konzipiert, der eine als Weltherrschaft, der andere als Weltrevolution. Der Kapitalismus hängt heute noch dem Wahn an, die Weltherrschaft erreichen zu können, wenn nicht schon erreicht zu haben; es ist ein Wahn, in dem der Allmächtige schon im Diesseits erscheint. Der Sozialismus gibt die Theorie der Weltrevolution nach bitteren Erfahrungen auf.
Der internationalen Linken war die Kapitulation der Sowjetunion eine Lehre. In einem System, in dem der Generalsekretär der kommunistischen Partei - nicht mehr Schüler von Marx und Lenin, sondern Zögling von Thatcher und Reagan - sich von einem Politiker, der durch Freß- und Trunksucht auffiel, abservieren läßt, ist der Überlebenswunsch der Revolution abgestorben. Das ist das Schlimmste, was ihr widerfahren kann. Siegt eine Revolution an einem Punkt der Welt, stürzt der Rest der Welt sich auf diesen Brandherd, um ihn auszutreten. Der siegreiche Revolutionär, von dem der Idealist Großes erwartet, ist mit dem Kleinsten beschäftigt: nicht unterzugehen.
Die Sowjetunion ist untergegangen und dennoch kein Teil des Westens geworden. Die Anstrengungen des Kapitalismus, den Osten zu destabilisieren, endeten mit einem Erfolg, den der Westen jedoch als Mißerfolg ansieht. Der Haß gegen die Sowjetunion ist einer Wut auf Rußland gewichen. Das neue Objekt des Hasses ist China. Es zog aus dem Untergang der Sowjetunion die Konsequenz, eine Politik zu versuchen, die dem Wunsch entspricht, nicht unterzugehen und die übermenschlichen Anstrengungen der Revolutionäre, den Kampf für sich zu entscheiden, nicht ungeschehen zu machen. Die Salonlinke hingegen verfolgt unbeirrt ihre Mission: seit der Oktoberrevolution jedem realen Sozialismus nachzuweisen, daß er an die Ideale des Sozialismus nicht heranreicht.
Wie immer Kapitalismus oder Sozialismus heute agieren - es gibt kein Zurück hinter das Jahr 1945. Was damals zustandekam, überraschte selbst die Protagonisten. Nach dem Krieg triumphierte nicht ein Sieger über einen Besiegten: Zwei Sieger standen einander unversöhnlich gegenüber, zwei gesellschaftliche Formationen, nicht als ideologische Gespenster, sondern als reale Mächte.
Die Konfrontation des Ostens mit dem Westen hat eine neue Qualität; sie steht auf einer höheren Stufe der Zivilisation - die Stufe darunter war die Französische Revolution. Die gesellschaftliche Moderne lebt von dieser Auseinandersetzung, mehr schlecht als recht. Denn die neue Konfrontation, so hoch sie über den alten Schlächtereien steht, bleibt auf unabsehbare Zeit gebunden an Nationalstaaten, dem Inbegriff moderner Barbarei. Der Sozialismus, der freche Zwerg, der gegen den kapitalistischen Riesen aufbegehrt, wird vom Riesen, wenn nicht erdrosselt, dann in einen Käfig gesperrt, so daß er, der sich als internationalistisch versteht, national egoistische Politik machen muß, wobei er sich unweigerlich verstümmelt.
Der absterbende Kapitalismus investiert Unsummen in Propaganda für sich selbst. Er erzielt auch mit der Propaganda Gewinn; wenn sie nicht das Hauptgeschäft ist, welches seine Weiterexistenz garantiert. Jedes Produkt der alten und neuen Medienindustrie plärrt in die Welt hinaus, daß alles, so wie es ist, gut ist und daß es keine Alternative zum Bestehenden gibt.
Der Antikommunismus ist die einzige Ideologie des Kapitalismus auch dann noch, wenn es weit und breit keinen Kommunismus gibt. Wie der Antisemitismus keine Juden braucht, kommt der Antikommunismus ohne Kommunisten aus. Daß die Nazis von der jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung sprachen, um ihren Haß gegen die Kämpfer für eine neue Gesellschaft auszudrücken, ist kein Zufall.
Die Marktschreier, die heute den freien Markt propagieren, den es nie gab, die Fürbitter der westlichen Demokratie, welche, als Herrschaft des Volkes gedacht, stets im Privateigentum einiger weniger war, die Marktschreier und Fürbitter, immer schlechter bezahlt, schreien zunehmend lauter, daß die ganze Welt so werden muß wie die Erste, und das zu einer Zeit, in der jene gerade zerbirst.
Ein markantes Zeichen des Niedergangs einer Epoche ist der Meinungsterror, der als Meinungsfreiheit firmiert und den Meinungsbrei zum Ziel hat, der, täglich neu aufgekocht, immer dünner und geschmackloser wird, bis öffentliche und veröffentlichte Meinung die geistige Klostersuppe für Arm und Reich sind - das Ideal jeder Volksgemeinschaft. Nichts darf gedacht, gesagt, geschrieben werden, was das herrschende System, statt es scheinheilig zu kritisieren, in Frage stellt.
Radikale Kritik gab es zuletzt von der 68er Bewegung, der man höhnisch nachsagt, sie sei unendlich weit davon entfernt gewesen, an die Stelle des Kapitalismus etwas anderes zu setzen - als hätten die 68er nicht selbst gewußt, daß sie, völlig machtlos, die Macht nicht beseitigen konnten. Man verzeiht ihnen nicht, daß sie zwar wenig bewirkt und doch das Wichtigste, was zu sagen war, gesagt haben: daß das System ein Schweinesystem ist, daß dessen Repräsentanten Charaktermasken und die Sozialdemokraten Verräter sind.
Für die Nachkriegsgesellschaft war der größte Schock, daß 1968 wie aus dem Nichts Leute aufstanden, welche die Verhältnisse begriffen haben und ihnen die entsprechenden Begriffe gaben. Nach 68 existiert in der westlichen Welt nur ein Gebot: Dieser Skandal darf sich nicht wiederholen. Medien, Hochschulen, Künstler wurden ideologisch neu getrimmt, Kritik wurde zurückbeordert in die Kaserne der Beschaulichkeit. Die Literatur rückte fast geschlossen dort ein, wo sie mit Stechschritt neue Innerlichkeit zu üben hatte und wo heute Literatur-Leutnants vorexerzieren, daß ihre Liebe zum Markt so groß ist wie ihr Haß auf die Kunst.
Die Restauration ging von Land zu Land mit anderen Methoden vor. In Österreich traten die alten Nazis an - Klerikalfaschisten und Sozialdemokraten, die nach 45 aufgeboten worden waren, um das Geistesleben lahmzulegen, hatten sich als zu lasch erwiesen. Die Installierung eines Chefredakteurs beim Fernsehen, der in Jugoslawien als Kriegsverbrecher gesucht wurde, war ein leuchtendes Beispiel für anbrechende finstere Zeiten. Der umständlich-ironischen Sprachmelodie Kreiskys stellte Bacher, Intendant des ORF, ein hartes Bellen gegenüber, mit welchem die geistige Provinz seither jede intellektuelle Regung einschüchtert, ein Bellen, das zum Vorbild wurde für das brutale Sprach-Staccato, mit dem fortan die rechten Führer solange hetzen, bis das Lumpenproletariat und die Lumpenbourgeoisie den Ton angeben.
Das autoritäre Gerede zwingt noch nicht faschistische Zustände herbei, sondern nur die Idylle eines demokratischen Faschismus, in dem das Wort zur Phrase, der Gedanke zur Lüge wird, bis der materielle Kern der Gesellschaft mit einem dichten demagogischen Schleier umgeben ist, hinter dem, einem unerforschlichen Gott gleich, der Kapitalismus auf geheimnisvolle Weise rumort.
Umsorgt wird er von devoten Gnomen, sogenannten Wirtschaftsforschern, die um ihn herumscharwenzeln und Körpertemperatur, Blutdruck und Gewicht messen. Wie Gott, so lebt auch die Wirtschaft spartanisch, letztere in einer Kammer, der Wirtschaftskammer, angesiedelt an einem Wirtschaftsstandort, der zum Wallfahrtsort verklärt wird. Die Bevölkerung wird zum Wirtschaftswehrdienst verpflichtet, wobei man sich nicht aussuchen kann, wie man der Wirtschaft am besten dient, ob als aktiver, in Arbeit stehender Kämpfer oder passiv, als Arbeitsloser; oder als jemand, der in Teilzeitarbeit, Kurzarbeit, Leiharbeit steht, der niederträchtigsten Form der Lohnsklaverei.
Dümmeres Wirtschaften als das kapitalistische gibt es nicht. Es ist ein Kampf jeder gegen jeden. Das Kapital erklärt der Arbeit den Krieg, die Löhne sinken, die Profite steigen, und am Ende weiß man nicht, wohin mit den Erträgen, verjuxt sie und rettet sich in die Krise. Diese Wirtschaft kennt nur ein Prinzip, die Konkurrenz, und ein Ziel, den Profit - ein sinnloser Kreislauf. Der Antrieb zur Konkurrenz besteht darin, die Konkurrenz auszuschalten, der Zwang zum Profit führt dazu, den Profit wiederum in den Konkurrenzkampf zu investieren. Die Rolle des Menschen in diesem Wirtschaftsfaschismus beschränkt sich darauf, geopfert zu werden.
Die Urform des Faschismus ist die Theologie. Gelingt es ihr, den Unsinn, daß es einen Gott gibt, als Lebenssinn zu etablieren, können auf dieser irrationalen Grundlage unendlich viele rationale Schritte gesetzt werden. Nach diesem Schema funktioniert Herrschaft. Man muß nur über die Macht verfügen, einen Glauben zu oktroyieren, sei es an Gott, den Führer, den Kapitalismus. Schwankt der Glaube, beginnt das Krisengeschrei.
Eine Krise ist das beste Mittel, um Herrschaft zu stabilisieren. Um von sich als dem größten Übel abzulenken, sucht das Establishment in den entlegensten Tälern der Welt nach Übeltätern, die es Terroristen nennt und vor denen man sich ängstigen muß. Der Terrorist bleibt aber, selbst wenn er gefaßt wird, ein unbekanntes Wesen. Deshalb setzen die Faschisten auf die Angst vor den Fremden statt auf die Angst vor Terroristen. Die Fremden kennt man, es sind alle, die man als Fremde bezeichnet.
Die wirtschaftliche Gewaltherrschaft zerstört die Existenzgrundlage der Menschen, und aus der Ohnmacht, die zurückbleibt, wächst politische Gewaltherrschaft. Auch Österreich beschreitet diesen Weg zurzeit mit großem Erfolg.
„Die Presse, Spectrum“, Wien, 11. 12. 2010
„Konkret“, Hambrg, Februar 2011