Michael Scharang

 

Der Beruf des Vaters

Kritiken

Jürgen Steffan in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 30. 4. 1975

Thema:“ Wenn man denkt, das ist dein Vater und du sitzt jahraus, jahrein neben ihm in einer Wohnung, und du weißt nicht, was er macht – das ist ja auch komisch.“ Während hier Hauptschüler zur Entlassung in die „Arbeitswelt“ den letzten Schliff erhalten (Hauptinteresse: Flirt und Fußball) steht den berufstätigen Eltern eine weitaus ernstere Entlassung ins Haus. Bei Scharang verknüpfen sich beide Motive sehr geschickt und einleuchtend mit einem simplen Schulaufsatz: „Der Beruf des Vaters“. Er mißlingt den meisten Schülern, weil mangels Information und Aussprache die Aufsätze kaum mehr ergeben als den betrüblichen Befund „Thema verfehlt“, die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern sind zu Feierabendfloskeln erstarrt, die nicht einmal für einen Schulaufsatz ausreichen. Mit einfachen Mitteln weist Scharang nach, daß sich Eltern und Kinder wirkungsvoller solidarisieren können als Berufsstrategen. Am Ende beteiligt sich sogar das gefallene Töchterchen des „Klassenfeinds“ an der Flugblattaktion vor dem Fabrikstor.  Die ARD nominierte dieses Hörspiel als ihren diesjährigen Beitrag für die European Broadcasting Union (EBU). Das Problem ist europäisch, die Sprache österreichisch, das Ergebnis erfreulich.

 

 

Peter Bellon in der „Funk-Korrespondenz“, Nr. 19 vom 7. 5. 1975

Man muß Michael Scharangs neues Hörspiel „Der Beruf des Vaters“ im Zusammenhang mit seinem „produktiven Begriff von Dokumentation“ sehen, den er in den letzten Jahren in der konsequenten Arbeit mit O-Ton-Material entwickelt hat. Vom „eigentlich“ naturalistischen O-Ton-Hörspiel hatte sich Scharang in Theorie und Praxis stets distanziert, deren Autoren als „zynische Sprachverwerter“ bezeichnet. Seine eigene Rolle bei der Herstellung eines O-Ton-Hörspiels oder eines Hörspiels „auf der Basis von O-Ton-Aufnahmen“ hat er in einem Aufsatz als die eines „Initiators und Organisators“ definiert, der „dem Sprechen der Arbeiter und damit ihren Interessen, Forderungen und Bedürfnissen eine Öffentlichkeit schaffen“ hilft – dies ist Scharangs fundamental gesellschafts-und medienkritischer Ansatz, von dem auch die Definition des Begriffs der Dokumentation geprägt ist: “Die einfache Wiedergabe dessen, was ist, geschieht insgeheim immer mit der Tendenz, das sei halt so. Im Gegensatz dazu sollte das Dokumentierte unter dem Gesichtspunkt gezeigt werden, dass es veränderbar ist, verändert werden muß. Es gilt also, gegen den herrschenden reproduktiven einen produktiven Begriff von Dokumentation zu entwickeln.“ „Der Beruf des Vaters“ kann in diesem Sinn – obwohl keineswegs ein O-Ton-Stück – dennoch als Fortsetzung oder Variante der Dokumentationstechnik Scharangs begriffen werden: Einmal, weil die O-Ton-Arbeit wohl die Voraussetzung zur sprachlichen und inhaltlichen Realitätsnähe der Spielhandlung war, zum anderen, weil deutlich keine 1:1-Realität angestrebt ist, sondern eine Modellsituation, die einen realen Mißstand widerspiegelt und die Möglichkeiten seiner Überwindung aufweist. Die Handlungselemente mögen das Modellhafte des Hörspiels verdeutlichen, das freilich in der Regie von Otto Düben keineswegs zur Moritat erstarrt – dazu bleibt die Dramaturgie zu locker, die Abfolge der etwa 16 Einzelszenen (es können auch mehr sein) bei aller Transparenz scheinbar zu absichtslos verknüpft. Im Mittelpunkt der Handlung steht eine typische Mittelschichtfamilie mit den Attributen, die es wohl nicht nur in den Büchern der Soziologen gibt; Vater und Mutter Stocker arbeiten beide im Akkord, Sohn Fred besucht die Abschlußklasse der Hauptschule. Leistungsdruck ist das gemeinsame Schicksal, von Vater und Mutter im Betrieb erlebt (die Drohung, entlassen zu werden, steht bei beiden im Raum), an den Sohn, der auf die Fachschule gehen soll, weitergegeben. Fred dagegen hat Fußball und Gerti, eine Mitschülerin, im Kopf. Gerti ist vom Gymnasium an die Hauptschule zurückgekommen, sie ist die Tochter eines Geschäftsmannes und wird von Fred ob ihrer „größeren Freiheit“ beneidet. Der „Klassenunterschied“ kompliziert das unbefangene Miteinander der beiden. Soweit die Schilderung der „Lage“.

Hier endet das Modell Scharangs, das als Lehrstück über die Entfremdung von den Bedingungen „der eigenen Klasse“ gelten kann und wohl auch so gedacht ist. An diesem Verständnis gemessen hat es eine Qualität, in der das Quentchen vordergründiger Schwarzweiß-Malerei (in der Zeichnung des Betriebsleiters) und Züge von Sozialromantik dialektisch aufgehoben sind.