Michael Scharang

 

Der Sohn eines Landarbeiters wird Bauarbeiter und baut sich ein Haus

Kritiken

Claus Umbach in „Der Spiegel“, Hamburg, 12. Mai 1975

Mord und Totschlag, Selbstmord, Diebstahl, Überfall, dunkle Geschäfte zwischen Unternehmern, Kabale beim Landvolk - ein Sturzbach von Freveln wühlt dieses Stück auf, und ein paarmal droht seine Glaubwürdigkeit in dem Sud von soviel Schuld und Sühne zu versickern.

Doch das Drehbuch hält dem Druck seiner Ereignisse stand, noch mehr der Film: Das TV-Debüt des steiermärkischen Arbeitersohnes Michael Scharang, 34, Hörspiel- und Romanautor („Charly Traktor“) aus dem Grazer Literatenborn, ist ein Lichtblick im drastisch abgemagerten Fernsehangebot, 100 Minuten lang und spannend.

Kein „Tatort“. Scharang wollte vielmehr „auf engstem Raum einen Querschnitt durch die gesellschaftliche Hierarchie geben“, wollte „sowohl ein Lehrstück wie auch eine Art soziale Abenteuergeschichte“ schreiben. Dank Regisseur Corti ist ein genaues, bitter-böses Trauerspiel von beträchtlichem Unterhaltungswert daraus geworden.

 

 

Hans Jansen in der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ vom 15. Mai 1975

Die Vorschußlorbeeren, die der Film „Der Sohn eines Landarbeiters wird Bauarbeiter und baut sich ein Haus“ erhalten hatte, bestätigte seine Premiere in der ARD. Was Axel Corti, den ich bisher als routinierten Regisseur vornehmlich unterhaltender Stoffe kannte, nach dem ausgezeichneten Drehbuch von Michael Scharang mit einem hervorragenden Team unverbrauchter Darsteller am Beispiel eines Burgen­länder Maurers zeigte, war das beklemmende Soziogramm eines Mannes, der von den Praktiken kapitalistischer Wirtschaftsmachenschaften zerrieben wird.

Corti und ein Autor enthalten sich ideologischer Schwarz-Rot-Zeichnung. Landflucht und Aufstieg, Not und Tod des „Helden“ sind mit realistischer Akribie und kühler Distanz beschrieben. Die Bilder, oft von statischer Kamera festgehalten, wirken in den Innenszenen wie lebende Holzschnitte und atmen die düstere Fatalität, die den Filmszenarien Herbert Achternbuschs eigen sind. Die karge Hochzeitsfeier erinnert an Brechts „Kleinbürgerhochzeit“, freilich ohne deren satirische Zuspitzung.

Der Fall trifft in erster Linie auf österreichische Verhältnisse zu, gewinnt aber in der unpathetischen Verknappung Gleichnischarakter über den lokalen Bereich hinaus: Menschen in ihrer Anfälligkeit und in ihrem Glücksstreben, in ihrem Sprachunver­mögen und in ihrer seelischen Verwundbarkeit sind beispielhaft modelliert.

 

 

T.T. in „Frankfurter Rundschau“ vom 15. Mai 1975

Michael Scharang und Axel Corti gelang da trotz mancher allzu flotter Bilder ein bedeutender Film, eine ganz zwanglos exemplarische Bildgeschichte von hohem ästhetischem Reiz (hervorragend der Schnitt-Rhythmus, die Kameraführung). In die Beschreibung einer „scheinbar“ harmonischen Oberfläche brechen, zunächst irritier­end, dann immer zwanghafter, die Zeichen der Brutalität, alles Handlungen, um zu überleben: Mord und Totschlag, Verkrüppelungen und Demütigungen, notwendige Erscheinungen des Lebens in dieser Ordnung (die Notwendigkeit begründet dieser Film).

Außergewöhnlich ist an diesem Film, wie es Scharang und Corti vermochten, ihre Geschichte detailgenau mit hohem Unterhaltungswert so zu erzählen, daß sie den Blick auf ihre bewegenden Momente ganz zwanglos preisgibt: „Da muß sich schon etwas von Grund auf ändern, bis das mal anders wird“, heißt es einmal - „Totstellen“ heißt dieses Fernsehspiel in der Kino-Fassung. Man möchte sich wünschen, daß es wirklich bald in den Lichtspielhäusern zu sehen ist.

 

 

Günther Poidinger in der „Arbeiter Zeitung“, Wien, 21. Juni 1975

Im Kino gefiel mir am „Der Sohn eines Landarbeiters“ von Corti und Scharang folgendes nicht:

Die schönen Bilder des Kameramannes Schwarzenberger, die mir nicht zum tristen Inhalt paßten.

Die Sex- und Crime-Nebenhandlung um den Abwerber, die von der Hauptsache abzulenken schien.

Und die Sprache des Films, ein eher steriler Hochdialekt, wie ihn Arbeiter nie reden. Sonst hat mir der Film schon im Kino gefallen.

Jetzt, nachdem ich ihn auch im TV sah, möchte ich meinen ersten Eindruck zurecht­rücken:

Gute Bilder gehören zu einem guten Film. Und warum muß ein Arbeiterfilm unbedingt spröd photographiert sein? Damit er vielleicht ein paar Kinopuristen gefällt, während jene. die´s angeht, fadisiert werden?

Ähnliches gilt für die Nebenhandlungen, für die Liebesszenen, für den Totschlag, für die Erschießung. Müssen Arbeiterfilme wirklich immer so theoretisch und blutleer sein wie die deutschen? Meine Bedenken gegen die Sprache bleiben. Aber es ist wahrscheinlich schwer für Schauspieler, die nie an eine normale Mundart heran­kommen im Beruf, auf einmal so reden zu müssen, wie dem Arbeiter der Schnabel ein Leben lang gewachsen ist. Und im Ausland muß man bedenken, würde ein echter Dialekt kaum verstanden werden.

Der Film hat wie kein anderer österreichischer zuvor die Welt der ländlichen Arbeiter hautnah ins Bild gesetzt, in oft atemberaubender Dichte (die Hochzeit des Franz etwa, die Szenen im Dorfgasthaus). Der Film hat eine Gesellschaft gezeigt, in der man am besten überlebt, wenn man sich gegen das Gesetz soviel wie möglich abreißt, und in der die Hunde dann den beißen, der ganz unten ist in der Bissordnung.

Der Film hat einen Arbeiter gezeigt, der in dem Moment, wo er die Möglichkeit hätte zu politischen Schlüssen aus dieser Erkenntnis, an ihr zerbricht.

 

 

Rupert Neudeck in „Medium“ vom April 1975

Scharang hat - zum anderen - eine sehr nüchtern-realistische Einstellung zum Publikum und dessen Erreichbarkeit gewonnen. Dieser Fernsehfilm bietet eine Art „sozialer Abenteuer­geschichte“, bei der die Gefahr besteht, daß diejenigen, auf die es ankommt, den gesellschaftlichen Bedingungsrahmen gar nicht bemerken, in dem der Autor seine „Abenteuergeschichte“ gesehen haben will. Dennoch muß diese Gefahr riskiert werden. Wenn der Autor denjenigen, die „die Begriffe nicht haben“, mit diesen Begriffen direkt im Film kommt, „dann ich jage ich sie sowieso davon“.

Präzise führt der Film von Sequenz zu Sequenz die Dialektik von Stadt- und Landleben vor, wobei der Schnitt jeweils den dialektischen Umschlag bereitet. Das Landleben wird - wie auch schon in anderen Fernsehfilmen: man möchte Wildenhahns Film „Liebe zum Land“ hier nennen - nicht mehr dogmatisch und denunziatorisch unter der Marx-Formel von der verblödenden „Idiotie des Landlebens“ gesehen, sondern mit Nüchternheit sowie einer warmen Sympathie für die auf dem Lande Wohnenden. Die Frage soll sich aufdrängen, ob das Landleben nicht doch Partikel des nicht entfremdeten Lebens möglich macht, die in den großstädtischen Ballungsräumen gar nicht mehr vorkommen. Der Film denunziert nicht, er stellt dar; die besten Sequenzen sind die stillen, ruhigen, nicht die spektakulären, die kinoträchtigen, die beim Betrachter jeweils den assoziativen Reiz der Wiedererkennung freisetzen.

 

 

JH im „Münchner Merkur“ vom 15. Mai 1975

„Man muß sich tot stellen das ganze Leben, sonst kommt man nicht durch“: eine pessimistische Perspektive, hier einer durch Erfahrung geschulten Figur in den Mund gelegt, gab den Grundton an zu Michael Scharangs Fernsehfilm „Der Sohn eines Landarbeiters wird Bauarbeiter und baut sich ein Haus“ (ARD).

Anders als in den Soziologie-geschwängerten neuen deutschen Arbeiter-Filmen mit ihrer meist agitatorischen Schwarz-Weiß-Malerei bekam da jeder sein Fett, wurde in knappen Dialogen und ruhigen Bildern eine Geschichte aufgezeichnet zwischen Dorf und Großstadt, längst nicht mehr heilem Landleben und ungezügeltem Profitstreben - aufgerieben mittendrin der junge Mann Franz, eine durch und durch glaubhafte Figur.

Im ganzen ein bemerkenswert genauer Film, dem es überzeugend auch gelang, Unterhaltlichkeit mit seiner Aussage zu verbinden.

 

 

IS im „Münchner Merkur“ vom 13. Mai 1975

Der Titel des Films „Der Sohn eines Landarbeiters wird Bauarbeiter und baut sich ein Haus“ nimmt den äußeren Rahmen der Geschichte voraus, die der 34jährige Wiener Schriftsteller Michael Scharang in seinem ersten Fernsehfilm erzählt:

Der Landarbeitersohn Franz will nach abgeschlossener Lehrzeit nicht mehr für den niedrigen Lohn arbeiten, den ihm der Dorfbaumeister zahlt. Er läßt sich daher vom Agenten einer Großbaufirma in Wien anwerben. Die einträchtigere Arbeit nimmt er vor allem auch deswegen an, weil seine Freundin schwanger ist; denn er will sich auf dem von seinen Eltern mühsam ersparten Stück Boden ein Haus bauen. Dabei gerät er in die Mühlsteine des Konkurrenzkampfes zwischen dörflichem Klein- und städtischem Großkapital.

Scharang, in der Steiermark geboren, hat in seinen bisherigen Veröffentlichungen versucht, den Einfluß einzelner sichtbar zu machen, Zwänge im „Existenzprozeß“ auf Berufs- und Familienebene zu schildern. In „Der Sohn eines Landarbeiters…“ beschreibt er eine aktuelle gesellschaftliche Lage als System politischer und ökonomischer Herrschaftsverhältnisse.

Scharang: „Die Entfremdung, die dadurch zwischen den Menschen herrscht und auf ihnen lastet, läßt sich nicht durch einen Eingriff von außen, sondern nur durch die Menschen selber beseitigen. Das kann allerdings erst geschehen, wenn sie diese Verhältnisse, unter denen sie leiden, einmal klar sehen und artikulieren können.“

Den Hintergrund zu seiner Geschichte, die er sowohl als Lehrstück wie auch als „soziale Abenteuergeschichte“ bezeichnet, liefert die dörfliche Abgeschiedenheit des Burgenlandes. Er beschreibt sie in allen Einzelheiten, vor allen Dingen auch im Hinblick auf die Prägung von Einzelschicksalen. Diese Milieuschilderung, von Regisseur Axel Corti ins Bild gesetzt, macht Reiz und Anspruch des Films aus.

 

 

Über die Kinoversion mit dem Titel „Totstellen“:

Franz Manola in „Die Presse“, Wien, 26. April 1975

Nicht das fehlende Geld allein, nicht das fehlende technische und handwerkliche Know-how; nicht die kaputte Kinolandschaft, und auch nicht die Indolenz der Verleihe; weder die mangelnde Erfahrung, die in einem so routineintensiven Gewerbe so tödlich wirkt, war und ist verantwortlich dafür, daß dieses Land kein eigenständiges Kino hervorzubringen imstande ist, sondern die Feigheit, sich nicht zu seinen Träumen zu bekennen, die Schwäche, seiner Phantasie zu mißtrauen, und die Dummheit, die Augen zu schließen, wo alles zu sehen wäre, hätte man sie bloß offen.

Gott weiß warum, aber der Traum, den eine Handvoll Leute in diesem Land, jeder auf seine Weise, seit langem geträumt hat, jenen von einem „richtigen“ Kinofilm, der von Österreich und seinen Menschen handelt, der getränkt ist von einer täglich erfahrbaren Realität, hat trotz allem nie etwas von seiner Faszination eingebüßt.

Wie gelang es Axel Cortis „Totstellen“, all das hinter sich zu lassen? Wie gelang es einem bei weitem nicht meisterhaften, in sich brüchigen, von einer Unzahl von Kinderkrankheiten geplagten, sich immer wieder verlierenden Film, den ewig alten Teufelskreis zu durchbrechen?

War es Michael Scharangs Buch, das dem Film einen vordergründigen Realismus verschrieb, das nicht in ein imaginäres Theater-Wien der Vergangenheit und auch in keinem „schönen“ Hintergrund der Gegenwart ausweichen wollte, sondern ins Burgenland von heute? Der ihn zwischen Maurer und Landarbeiter, dumpfe Provinzler, kleine Ganoven, schmierige Managertypen, stickige Beiseln, frostige Neubauten und schäbige Baracken stellte? Waren es Scharangs Dialoge, die Brecht folgend, dem Volk aufs Maul schauen, ihm aber nicht auch dem Mund reden wollten, die an diesem schwierigen Unterfangen - vielleicht in Ehre - gescheitert sind? Waren es Xaver Schwarzenbergers oft bestechend schöne Bildkompositionen, die er nicht durchhalten konnte und die sich doch mit Bravour in die Erinnerung einzugraben vermochten? War es Cortis mühevolles und mit Erfolg gekröntes Suchen nach den richtigen Besetzungen der unzähligen Rollen, sein Gefühl für unverbrauchte Gesichter, seine Geduld bei deren Führung?

Ein einziges großes Fragezeichen. Dieser Film aber ist bei all seiner im Detail nachweisbaren Fragwürdigkeit wohl deshalb ein fraglos frag-würdiger geworden, weil - vielleicht nur für Minuten - Kino entstand, in sich stimmig und dann auch nicht weiter hinterfragbar. Dann treffen in diesem komplizierten Koordinatensystem alle Einzelkomponenten zusammen, dann erreichen für Augenblicke alle Beteiligten die Höhe ihres Können und Wollens zugleich.