Der Sohn eines Landarbeiters
Anfang des Romans
Franz Wurglawez schlief noch fest, obwohl es schon acht Uhr war. Draußen war es längst hell, so hell, als wäre jedes Haus und jeder Baum angeleuchtet. Das Dorf lag in einem Licht, wie es das nur an einem wolkenlosen Morgen gibt.
Franz aber träumte, daß vor seinem Fenster schwarze Regenwolken hingen und er sich deshalb den Regenmantel über den neuen Anzug ziehen und den großen Schirm seines Vaters ausborgen mußte. Er träumte, daß er zum Fenster ging, um die Regenwolken wegzuschieben. Aber der Mann, der gestern im Fernsehen den Fortbestand des schlechten Wetters vorhergesagt hatte, stand draußen im Hof und stemmte sich dagegen, so daß Franz die Wolken nicht wegbrachte.
Da hatte er im Traum eine Idee: „Wenn ich in die Wolken trete, platzen sie und rinnen aus. Obendrein wird dann der blöde Hund von oben bis unten naß.“
Er trat aus, einmal und noch einmal. Da er aber nicht nur im Traum, sondern auch in der Wirklichkeit austrat, traf sein Fuß mit voller Wucht eine Wand seines kleinen Zimmers. Wach wurde er davon aber nicht, denn er hatte einen Schlaf wie ein Bär.
Der Tritt hatte die dünne Ziegelwand zum Wackeln gebracht, die sein Zimmer von der Küche trennte. Und so konnten sich weder er noch seine Eltern später erklären, warum ausgerechnet an diesem Morgen die dürren Nadeln von Föhrenzweigen abgefallen waren. Die Föhrenzweige schmückten den Herrgottswinkel in der Küche, denn einen eigenen Wohnraum, wo auch Platz für einen ordentlichen Herrgottswinkel gewesen wäre, gab es in dem kleinen Haus nicht. Außer der Küche hatte die Familie Wurglawez nur noch einen Schlafraum und eine Kammer für den Sohn.
Heute war Mittwoch, der 14. Mai 1975. Es war ein wichtiger Tag für Franz Wurglawez. Er selbst hatte diesen Tag sogar als den wichtigsten in seinem Leben bezeichnet. Danach, so hoffte er, würde alles anders werden.
An eben diesem Mittwoch, um elf Uhr, war in der Berufsschule, drüben in der Stadt, die Überreichung der Abschlußzeugnisse angesetzt. Und Franz war einer von denen, die heute mit dem Abschluß der Lehrzeit ins Berufsleben eintreten sollten.
Er hatte sich während des vergangenen Jahres nichts mehr herbeigewünscht als das Ende der Lehrzeit. Denn er war schon zwanzig Jahre alt und hatte keine Lust mehr, die ganze Arbeit eines ausgelernten Maurers leisten zu müssen, aber noch immer als Lehrling zu gelten.
Franz hatte sich also schon lang auf den heutigen Tag gefreut. Und ausgerechnet gestern vor dem Einschlafen überkam ihn ein unangenehmes Gefühl. Wird nun wirklich alles anders, hatte er gedacht, nur weil ich statt der Lehrlingsentschädigung einen Lohn bekomme? Und wird nicht vielleicht auch manches schlechter? Zum Beispiel, daß ich ein paar Kollegen nicht mehr treffe aus der Schule und den Professor Stadler. Das war eh der einzige, mit dem man über alles reden hat können.
Die letzten Tage hatte es geregnet, und es schien, als hätte sich Franz umsonst darauf eingestellt, heute seinen neuen Sommeranzug auszuführen. Deshalb wohl träumte er von den schwarzen Wolken, jetzt, wo draußen schon der schönste Tag war und ein leichter Wind die Spuren der vergangenen Regentage fast weggewischt hatte.