Der Weg zurück
Über die politische und gesellschaftliche Rückentwicklung, die zurzeit in Österreich stattfindet – und auf Widerstand stoßen wird.
Ein optimistischer Abgesang
Der Gang der Geschichte wird im Großteil der Welt noch nicht von
Vernunft und Aufklärung geleitet, sondern von purer Herrschsucht. Die
Herrschenden setzen alles daran, ihre Macht nicht zu verlieren. Die
Politik des Machterhalts ist eine Geißel der Menschheit. Sie beraubt die
Gesellschaft jener Mittel, welche die Menschen erarbeitet haben, um das
Leben besser zu gestalten, und so endet es in Lethargie. Man gewinnt den
Eindruck, die Geschichte dränge in kurzen revolutionären Eruptionen
vorwärts, dann wieder bewege sie sich nicht.
Der Stillstand, der eintritt, verströmt einen Modergeruch, der die ganze
Gesellschaft verpestet. Kraft seiner Penetranz verfestigt er sich zu
einer Ideologie, die so lange auf der Lüge beharrt, der augenblickliche
Zustand sei zufriedenstellend, eine Alternative nicht denkbar, bis jeder
sie glaubt. Dennoch soll man über Epochen des Stillstands nicht den Stab
brechen. Sie prosperieren, auch die Untertanen haben sie in guter
Erinnerung, denn sie werden zwar ausgebeutet, aber nicht ausgequetscht,
und wenn die Knechte sich nicht gegen den Herrn auflehnen, werden sie
von ihm sogar belohnt. Epochen des Stillstands sind friedliche Zeiten,
der zufriedene Knecht schuftet vor sich hin, der schuftige Herr fühlt
sich wohl, weil er nicht zur Peitsche greifen muß.
Man ist geneigt, ein Loblied auf den Stillstand zu singen, wenn man in
Österreich erlebt, wie Geschichte zurückgedreht wird. Um die Zeit
anzuhalten, muß Gewalt angewandt werden, um sie zurückzudrehen, bedarf
es der Brachialgewalt. Das Ereignis kam nicht von ungefähr, aber auch
wer es vorhergesehen hatte, erschrak, als die Barbarei die Zivilisation
in den Polizeigriff nahm. Die Idylle des Stillstands ist trügerisch.
Geschichte, die nicht fortschreiten darf, wird zu einem mächtigen Stau,
in dem der Druck unaufhaltsam zunimmt: es kommt entweder zur
revolutionären Explosion oder zum reaktionären Rückschlag.
Österreich ist für den Weg zurück bestens disponiert. Die Fratzen, die
einen heute vom politischen Podest aus angrinsen oder anstarren,
erzählen von der Schmach, welche ihnen im Lauf der Zeit angetan worden
ist. Das Unglück Österreichs beginnt mit dem Wiener Kongreß, ab dem
alles rückwärts geht. Dieser Kongreß im Jahr 1815, dem Metternich
vorsaß, war eine Zusammenrottung hirntoter Monarchen, die noch einmal
aus der Gruft gekrochen kamen. Alles Unglück Europas bis zum Faschismus
und Nationalsozialismus, bis zum Erblühen völkischer Niedertracht in
diesen Tagen geht auf jenen Kongreß zurück.
Keine Klasse wurde in der Geschichte so deformiert wie das Bürgertum.
Deformation ist eine subtile Form der Unterdrückung. Das Bürgertum darf
sich wirtschaftlich entwickeln, aber die Monarchie hält es von der
politischen Macht fern. Da es sich jedoch in seiner ökonomischen
Entfaltung nicht behindert wähnt, fügt es sich in sein Schicksal und
verliert die Kraft zur revolutionären Befreiung. Es organisiert den
modernen, den industriellen Kapitalismus und wird maßlos reich. Da es
politisch entmachtet, also geistig tot ist, weiß es mit dem Reichtum
nichts anzufangen. Alles ist käuflich – das ist die einzige Idee, die
dem Bürgertum Leben einhaucht.
Man ist ein Opfer der Geschichte und rächt sich an ihr, indem man sie
kauft. Ein eigener Stil, ein Baustil, ist dem Bürgertum auf Grund seiner
Geistlosigkeit verwehrt. Es läßt seine Bauten in der Art von Gotik,
Renaissance, Barock errichten und findet Kunsthistoriker, welche diesen
Dreck als Historismus beschönigen. Die politische Machtlosigkeit beraubt
das Bürgertum seiner Geschichte, es wird historisiert.
Die politische Ohnmacht hat politische Folgen. Das Bürgertum unternimmt
zwar nichts gegen seine Bevormundung, schwärmt aber in seinem
wirtschaftlichen Erfolgsrausch von einer rauschaften Befreiung. Es
stellt der Monarchie, einer Ansammlung von Ländern, die Nation entgegen,
in welcher der Bürger auch die politische Macht hat. Wer dort lebt, ist
nicht bloß Staatsbürger, er hat auch eine nationale Identität.
Das Wesen der Identität, sagt Hegel, ist die Nichtidentität. Behauptet
ein Österreicher, er sei Österreicher, ist das unter allen Pleonasmen
der dümmste. Die Aussage läuft darauf hinaus, daß der Österreicher
versichert, gewiß kein Türke zu sein. Nur das macht ihn zu etwas
Besonderem. Was drängt den Bürger, mit Hilfe solcher Abstrusität ein
Selbstwertgefühl zu erschleichen? Die Rache für das, was ihm angetan
wurde.
Das Bürgertum lebte nicht im Armenhaus. In diesem Fall hätte es sich als
unterdrückt empfunden. Die Konstellation, ökonomisch mächtig, aber
politisch ohnmächtig zu sein, in der Geschichte selten anzutreffen,
gebiert das Empfinden, ausgegrenzt zu werden. Der nichtsnutzige Adelige
verachtet den tüchtigen Bürger. Von dieser leidvollen Erfahrung bleibt
er bis heute geprägt. Als auch der nicht Kapital akkumulierende Teil des
Bürgertums, der nichtsnutzige Citoyen, den Bourgeois verspottet, wird
der rabiat. Die leidvolle Erfahrung schlägt um in wahnhafte Rachsucht.
Der Bürger des 19. Jahrhunderts rechnet damit, daß die Zeitläufte ihm
irgendwann einmal die politische Macht bescheren werden. Er rechnet der
Menschheit vor, wie er diese Macht gebrauchen wird – indem er, der
einstmals Ausgegrenzte, andere ausgrenzt. Ausgrenzung ist für ihn der
Inbegriff politischer Machtausübung. Der Irrwitz kapitalistischer
Ökonomie findet endlich sein Pendant in der bürgerlichen Politik. Damit
der Irrwitz nicht im Gelächter untergeht, muß er sich aufplustern zu
einem rationalen System. In dem gilt als Gipfel politischer Macht, als
Höhepunkt der Ausgrenzung, der Tod des anderen. Adorno hielt ein Leben
für erstrebenswert, in dem man ohne Angst anders sein kann. Für den
Bürger ist erstrebenswert, daß man anders als er nicht sein darf. Wobei
es immer um den Mann geht, die Frau zählt nicht.
Der Mensch, einstmals Ebenbild Gottes, hat ein Ebenbild des Bürgers zu
sein. Ist er das nicht, dann gnade ihm Gott. Auf diesem Menschenbild
beruht der moderne Antisemitismus. Man braucht ein Opfer und nimmt, was
sich gerade anbietet. Ist es der Jude, ermordet man ihn und sucht sich
ein nächstes Opfer. Das ist die einzige Konstante in der bürgerlichen
Politik, deren Menschenfreundlichkeit darin besteht, sich jemanden
vorzuknöpfen, den man ausgrenzen, abschieben, internieren, im Idealfall
umbringen kann. Die Vorstellung, die das Bürgertum bietet, ist ein
Trauerspiel, der Bürger ein erbärmlicher Held, der zum Schlag nur
ausholt, wenn ihm ein Wehrloser gegenübersteht. Die Nazis waren
militärisch unterlegen. Den Krieg gegen die Juden, gegen Wehrlose, der
ihnen letztlich wichtiger war, gewannen sie.
Das Teuflische an diesem Krieg ist, daß er kein Ende nimmt. Der Fremde
stirbt nicht aus. Er ist das Lebenselixier des Bürgers, welcher
Selbstachtung nur gewinnt, indem er den Fremden verächtlich macht. Zum
Helden wird man durch systematische Ausrottung des Wehrlosen. Richard
Wagner hat das erkannt. Er war einer der ersten, die leidenschaftslos
für die Ermordung der Juden plädierten. Maßlos sein Spott gegen die
Pogrome der Christen, denen es zwar nicht an Grausamkeit, aber an
Konsequenz und Systematik mangelte. Musikkenner zögern nicht, Wagners
Musik, die mit primitivsten Mitteln auf Überwältigung aus ist, seinen
Schriften als gleichwertig an die Seite zu stellen.
Das Bürgertum hatte lange Zeit gebraucht, bis es seine wirtschaftlichen,
wissenschaftlichen, künstlerischen Leistungen in der Französischen
Revolution mit der Eroberung der politischen Macht krönen konnte.
Generationen aufklärerischen Denkens flossen in die neue Verfassung ein,
die Napoleon in Europa militärisch durchsetzte.
Napoleon wurde besiegt, die Revolution aus der Geschichte getilgt, der
Bürger stand da wie ehedem: politisch entmündigt. Wien, wo der Skandal
diplomatisch abgewickelt wurde, ist seit damals der internationale
Schauplatz der Reaktion. Flackerte eine Rebellion auf, wurde sie
erstickt. Die bürgerliche Revolution 1848 stand auf gegen die Regierung
und versicherte den Kaiser ihrer Treue.
Der junge Kaiser, der achtzehnjährige Franz Joseph, ließ die junge
Revolution in Grund und Boden schießen. Das blieb sein
Regierungsprogramm für die nächsten Jahrzehnte. Es fand seine Erfüllung
1914, als er mit seiner ganzen Macht auf einen Krieg drängte, der sich
zum Weltkrieg auswuchs. Von der riesigen österreichisch-ungarischen
Monarchie blieb das winzige Österreich übrig.
Anders als in Deutschland, wo die Reichswehr - ermuntert von
sozialdemokratischen Ministern - Kommunistinnen und Kommunisten
ermordete, lag in Österreich die Reaktion auf dem Boden. Die Schrumpfung
der großen Monarchie zur kleinen Republik war für sie eine persönliche
Niederlage. Karl Kraus, als einziger eines klaren Blicks fähig, sagte
über die neue Republik, das schlechte Neue sei besser als das gute Alte.
Diese Ansicht teilte niemand. Das Unheil nahm seinen Lauf.
Die christlich-soziale Partei, in welcher die Reaktion sich sammelte,
flehte die Sozialdemokraten an, die Macht zu ergreifen, ein zynisches
Angebot angesichts der chaotischen Situation. Die Sozialdemokratie
befand sich in einer besseren Lage. Soldaten, die den Krieg überlebt
hatten, vorher Arbeiter und Sozialisten, nahmen als Arbeiter -und
Soldatenräte die Organisation des Alltags in die Hand. Es herrschten
Hunger und Wohnungsnot. Die Räte hätten die neue, die erste
österreichische Republik gestalten können, doch das scheiterte an der
sozialdemokratischen Partei. Nicht daß ihr die Räte zu revolutionär
gewesen wären. Um die Macht zu ergreifen, hätte sie über sich selbst
hinauswachsen müssen.
Seit ihrer Gründung betont sie, das bürgerlich-kapitalistische System
nicht stürzen, sondern reformieren zu wollen. Den Sozialismus möchte sie
durch Wahlen, also gar nicht erreichen. Ihr Programm sind leere
Versprechungen. Ein Revolutionär, der sich zu ihr verirrt, fühlt sich
bald verraten. Karl Kraus stellte den Befund aus, die Sozialdemokratie
sei eine staatlich approbierte Institution zur Vergeudung revolutionärer
Energie.
Unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg waren die beiden großen Parteien,
die christlich-soziale und die sozialdemokratische, in einem Punkt eins:
die Erste Republik sei nicht lebensfähig. Die Sozialdemokraten träumten
von einem Anschluß an ein sozialistisches Deutschland, die Konservativen
von allerlei anderen Anschlüssen. Beide Parteien begingen gegenüber der
Republik, die sie aufzubauen gehabt hätten, Hochverrat: eine der
absurdesten Staatsgründungen, die es je gab.
Unverdrossen taten die Arbeiterräte ihr Bestes, sie schufen das
Betriebsrätegesetz und die Arbeiter-Unfallversicherung, heute noch zwei
Säulen des Sozialstaats. Die jetzige Regierung tut alles, um die
Arbeiter-Unfallversicherung aufzulösen. Die Arbeiterräte wollten einen
sozialistischen Staat, die Sozialdemokratie einen Sozialstaat. Jener
hätte zur Voraussetzung gehabt, daß Arbeiter und Bauern die Macht
ergreifen, dieser wird, sobald der politische Gegner die Macht hat,
liquidiert.
Im Februar 1934 greifen Arbeiter gegen die Staatsmacht zu den Waffen.
Die Welt blickt mit angehaltenem Atem auf Österreich. Dort herrscht seit
einem Jahr eine klerikalfaschistische Diktatur. Welche Chance hat der
Aufstand der Arbeiter? Diese Frage interessiert die Weltöffentlichkeit.
Schließlich haben ein Jahr zuvor in Deutschland, wo es eine sehr starke
sozialdemokratische und eine starke kommunistische Partei gab, die Nazis
die Macht ergriffen, ohne daß der politische Gegner, wissend, daß er zur
Schlachtbank geführt wird, sich gewehrt hätte, ohne daß ein Schuß
gefallen wäre. Und nun ein bewaffneter Aufstand in Österreich.
Noch mehr überrascht als die Welt war die Führung der Sozialdemokratie.
Sie mißbilligte den Aufstand und setzte sich ins Ausland ab. Die
nachgeordneten Funktionäre boykottierten die Kämpfe, so daß das Militär
nach einer Woche siegte und die Anführer der Rebellion am Galgen hingen.
Die Aufständischen gelten bis heute für jeden Antifaschisten als Helden.
Die Sozialdemokraten garantieren jedem, der regiert, jedweden Aufstand
zu hintertreiben. Die faschistische Regierung, die, gemessen an ihren
wirtschaftspolitischen Untaten, zwar regierungsunfähig war, verhalf,
immerhin, dem österreichischen Bürgertum erstmals in seiner Geschichte
zu dem Hochgefühl, der Herr im Haus zu sein. Die Jahre von 1933 bis 1938
waren eine wichtige Lehrzeit. Als Hitler einmarschierte und der
Bourgeoisie in Aussicht stellte, sie demnächst zum Herren der Welt zu
machen, wußte sie bereits, wie befriedigend es ist, Herr zu sein.
Das österreichische Bürgertum kennt in seiner Geschichte nur einen
Glücksmoment, die fünf Jahre hausgemachter Diktatur. Einen
gesellschaftlichen Fortschritt, der das bürgerlich-kapitalistische
Himmelreich gefährden könnte, lehnt es aus gutem Grund ab, fühlt sich
vor jenem Fortschritt aber nicht ausreichend geschützt. Ein sicherer
Schutz war die Diktatur, nur sie würde einen vor dem Schlimmsten
bewahren. Geduldig wartete man länger als ein halbes Jahrhundert auf die
nächste Diktatur.
2017 war es so weit. Die Volkspartei - so nannten sich 1945 die
Christlich-Sozialen, beeindruckt vom völkischen Triumph der Nazis -
erkor einen jungen Mann zu ihrem Führer, weil er der Partei
aufschwatzte, sie sei ab nun eine Bewegung. Er verlangte Vollmachten zur
Alleinherrschaft, die man ihm willfährig zugestand, in der Hoffnung, der
junge Mann habe das Zeug zum autoritären Führer. Die Partei irrte nicht.
Der Traum von einer neuen austrofaschistischen Diktatur bleibt dennoch
unerfüllt.
Dem Inhaber des Landes, also dem wahren Herrscher, dem Kapital, genügt
der gegenwärtige politische Zustand, er braucht, da es keine Gegenwehr
gibt, keine Diktatur. Die Industriellen überhäuften den jungen Mann im
Wahlkampf mit so viel Geld, daß er auf die Mittel der Partei und somit
auf die Partei nicht angewiesen war. Kleine und große Funktionäre
fühlten sich nicht bedroht, sondern waren überglücklich, endlich wieder
zu jemandem bewundernd aufschauen zu können. Der autoritäre Charakter
des Konservativen findet seine Erfüllung, indem er sich einer
autoritären Instanz unterwirft.
Der junge Kanzler regiert nicht allein. Er hat den richtigen
Koalitionspartner gewählt, die FPÖ. Diese Partei beziehungsweise ihr
Vorläufer, in der sich die Nazis zusammentaten, hatte es nach 1945 nicht
leicht. Viele Österreicher waren Nazis, weshalb die Wahlkämpfe von SPÖ
und ÖVP sich im Kampf um deren Stimmen erschöpften. Was der FPÖ an
Anhang blieb, war der harte Kern. Das merkt man heute deutlicher als
früher. Die mitregierende FPÖ holt ihr Personal aus allen braunen
Löchern, vornehmlich aus Burschenschaften. Es ekelt einen. Man wußte
zwar, in was für einem Land man lebt, aber da man hier lebt, wollte man
es so genau nicht wissen.
Der Kanzler stößt sich nicht an seinem Regierungspartner, dessen
Wirtschaftsprogramm wie das des Kanzlers dem der
Industriellenvereinigung entspricht. Ihr Spiel ist nicht originell: Man
nimmt denen, die fast nichts mehr haben, das Letzte, und gibt es denen,
die nicht mehr wissen, wohin mit ihrem Reichtum. Das ist keine Frage der
Moral, sondern der Macht. Die Linke, nach einer historischen Niederlage
vor dreißig Jahren, genießt es immer noch, geschlagen worden zu sein,
und kommt nur langsam und stolpernd auf die Beine. Das nutzen die Gegner
und plündern die Bevölkerung aus, so gut und so lange es geht.
Was man den Leuten materiell nimmt, muß ihnen ideologisch ersetzt
werden. Man serviert ihnen einen Feind, den Fremden, den Flüchtling. Der
ausländische Habenichts ist schuld daran, daß die Inländer nichts haben.
Das Bürgertum, traumatisiert durch Ausgrenzung, setzt diese ein, um
andere zu traumatisieren. Das Kapital und seine Politiker, die Herren,
verbünden sich mit den lohnabhängigen Massen, den Knechten, gegen den
Fremden. Die historische Mission des Faschismus ist, die Arbeiterinnen
und Arbeiter dem Kapital zuzutreiben. Wie faschistisch eine Gesellschaft
bereits ist, kann man daran ablesen, in welch erbärmlichem Zustand die
Arbeiterbewegung sich befindet. Die Gesellschaft zerfällt nicht mehr in
Parteien, die Interessen vertreten, oben und unten, arm und reich
verschmelzen zur Volksgemeinschaft.
Das führt zu einer moralischen und geistigen Verkommenheit, von welcher
auch die Gegner der rückwärtsgewandten Politik befallen werden. Die
Böswilligen grenzen den Flüchtling aus, die Gutwilligen integrieren ihn.
Wehe ihm, wenn er das nicht will. Dann wird er hinausgeworfen aus dem
Land, da verstehen die Gutwilligen keinen Spaß. Der Wahn, andere um
jeden Preis zu integrieren, ist die liberale Spielart des Fremdenhasses.
Der Flüchtling, der geflohen ist, um sein Leben zu retten, muß, kaum
angekommen im vermeintlich sicheren Land, gleich wieder sein Leben
retten, indem er sich integriert. Die Humanisten, die ihn dazu zwingen,
erkennen nicht das Unmenschliche ihres Begehrens. Gerade indem sie Wert
darauf legen, tolerant zu sein, machen sie sich zu Komplizen der
Barbarei. Jemandem mit Toleranz zu begegnen heißt, ihn zu dulden. Geht
man so mit Menschen um?
Gelingt einer Klasse wie in Frankreich die Revolution und entreißt man
ihr dann diese Errungenschaft, bleibt sie verstümmelt zurück. Wenn man
das nicht bedenkt, erschrickt man mehr als nötig vor der fratzenhaften
Erscheinung des gegenwärtigen Bürgertums. Den Höhepunkt der Entstellung,
den Austrofaschismus und den Nationalsozialismus, erreicht es nie
wieder. In Frankreich hat das Bürgertum die Revolution verloren, in
Deutschland und Österreich ist es sogar der Konterrevolution verlustig
gegangen. Unter Berufung auf Hegel riskiert Marx die Kaprice, die
Geschichte bringe jedes Ereignis zweimal hervor, einmal als Tragödie,
einmal als Farce. Der Weg zurück, auf den ersten Blick ein Trauerspiel,
ist nicht mehr als eine Posse.