Michael Scharang

 

Was ist Kunst

Kunst ist die Darstellung der Welt. Die Philosophie, sagt Hegel, deutet die Welt, die Wissenschaft analysiert sie, die Kunst stellt die Welt dar. Was aber ist Darstellung? Ein rätselhafter Begriff. Ihm nachzuspüren heißt, das Rätsel, was Kunst ist, zu ergründen.

Das Schöne am Nachdenken über Kunst: Man nähert sich mit Begriffen einem Phänomen, der Kunst, das sich seiner Natur nach der Erklärung durch Begriffe widersetzt. Kunst kann einerseits nicht begriffen werden, andrerseits verlangt sie danach, daß man sie begreift. Dieser schöne Widerspruch macht den Reiz des Ästhetischen, des Schönen, aus.

Ein beachtlicher Versuch, die Frage, was Kunst ist, zu beantworten, stammt von dem venezianischen Schriftsteller und Maler Marco Boschini, einem Zeitgenossen Tizians. Er schreibt über dessen Werk, es sei geradezu der Spiegel der Natur, nur daß der Spiegel lediglich Abbilder gebe, während Tizian Neues schaffe.

Der Spiegel gibt lediglich Abbilder. Warum aber hebt der Autor hervor, Tizians Werk sei geradezu der Spiegel der Natur? Spiegel der Natur zu sein wohnt offenbar dem Kunstwerk inne. Beschränkte es sich aber darauf, Abbild, Widerspiegelung zu sein, käme kein Kunstwerk zustande, nur Kunstgewerbe. In der Kunst steckt beides: Spiegel der Natur zu sein - und Neues zu schaffen.

Hegels Diktum von der Kunst als Darstellung der Welt zielt auf dieses Neue. Abbild ist, was man ohnehin kennt, das Immergleiche. Einerseits gehört es zur Kunst, Abbild zu sein, andrerseits ist sie der Feind des Immergleichen. Nicht um Abwechslung zu schaffen, wendet sie sich dagegen, sondern um das Immergleiche: das Bestehende, die Welt, wie man sie vorfindet, zu überwinden.

Denken über die Welt ist Wunschdenken. Dem Nachdenken liegt eine Vorentscheidung zugrunde. In der Welt wuchert ein Geschwür: der soziale Gegensatz, der die Gesellschaft formt. Dieser Gegensatz - der Herr oben, der Knecht unten - bestimmt die bisherige Geschichte. Sie ist ein fortwährender Kampf. Der Herr verteidigt seine Macht, der Knecht begehrt gegen die Unterdrückung auf.

Dem Denken liegt die Vorentscheidung zugrunde, sich entweder auf die Seite des Herrn oder auf die des Knechts zu stellen. Selbst dem nachdenkenden Knecht bleibt diese Entscheidung nicht erspart. Er kann sich dem Herrn unterwerfen oder gegen ihn aufbegehren. Widerstand zu leisten bedarf großer Anstrengung, wer sie nicht aufbringt, fällt in den Dämmerschlaf ewiger Knechtschaft. Ein Denken, das sich auf die Seite der Herrschaft stellt, ist kraftlos. Es feiert das Bestehende und lehnt, was Musil die möglichen Wirklichkeiten nennt, als umstürzlerisch ab.

Die Kunst als Feind des Immergleichen ist Gegner des Bestehenden. Ist sie für diese Gegnerschaft zu schwach, gibt sie nur ein Abbild dessen, was ist, und bleibt im Kunstgewerblichen stecken. Denken ist insofern Wunschdenken, als es unterscheidet zwischen der Welt, wie sie ist, und einer Welt, wie sie sein sollte. Letztere ist der Samen, aus dem, gesät in den Boden der Kunst, jene Pflanze hervorsprießt, die man das Neue nennt.

Die Philosophie stößt, wenn sie die Welt deutet, auf eine Gesellschaft sozialer Gegensätze. Die Philosophie wird von dieser Gesellschaft geprägt und bringt ein Denken in Gegensätzen hervor. Dieses nennt man Dialektik. Die dialektische Bewegung begleitet als urteilende Instanz die Geschichte der Kunst.

Zwei Richtungen sind in dieser Geschichte auszumachen: eine, welche die gesellschaftlichen Gegensätze konstatiert, sich aber nicht mit ihnen abfindet, sondern sie zu überwinden trachtet; und eine andere, welche die Gegensätze als naturgegeben hinnimmt und Herrschaft zum Schicksal verharmlost.

In allen Epochen der Kunst finden sich diese zwei Strömungen, eine klassische und eine romantische. Die klassische ist emanzipatorisch, sie ist der Idee der Befreiung der Menschheit verpflichtet und strebt die Entfaltung des Individuums an. Der Mensch ist für sie die Hauptsache. Die romantische Richtung hingegen degradiert den Menschen zum Ornament, zur Nebensache.

Unter Klassik und Romantik werden hier nicht eigene Stilepochen verstanden wie zum Beispiel die Klassik des späten 18. Jahrhunderts, auf welche die Romantik folgte, sondern Entwicklungen, die in allen Epochen präsent sind, manchmal direkt gebunden an fortschrittliche oder restaurative Entwicklungen der Gesellschaft, manchmal den politischen und ökonomischen Ereignissen vorauseilen, dann wieder hinterherhinken.

In den Werken Tizians und Tintorettos prallen die klassische und die romatische Richtung zur gleichen Zeit aufeinander. Im Venedig des 16. Jahrhunderts gelangt die Malerei in den Jahren der Hochrenaissance zu einer herrlichen Blüte. Die Republik Venedig, die als Adelsrepublik mit dem Widerspruch von Adel und Republik gut zurechtkommt, hat ihre Hochzeit bereits hinter sich. Nach außen hat die wirtschaftliche und militärische Expansion eine Grenze erreicht, im Inneren strebt die Regierung, um einen Aufruhr zu verhindern, nach sozialer Befriedung. Einer Rebellion hielte die kleine Republik nicht stand. Die Regierung gönnt dem niederen Adel, den Bürgern und den Handwerkern stattliche Gebäude, Scuolae, in denen sie sich versammeln und organisieren und wo sogar erste Schritte gesetzt werden, um eine Sozialversicherung einzurichten.

Während Florenz und Rom von Kämpfen zerrissen sind, tritt in Venedig Stillstand ein, und wie immer in einer solchen Situation macht sich in der Gesellschaft das Empfinden breit, es gehe bergab. Wie reagiert die Malerei darauf? Tizian stemmt sich gegen diese Entwicklung. In der Himmelfahrt Mariä, einem riesigen Gemälde in der Kirche Santa Maria dei Frari, entschwindet Maria mit einer großen Geste des Bedauerns. Ihre Zeit auf Erden ist vorbei. Die Menschen, die sie zurückläßt, versinken nicht in Schmerz. Einige lassen Maria und mit ihr die gute alte Zeit zwar widerwillig ziehen, sind aber umgeben von anderen, welche die Szene mit Interesse beobachten, ohne sonderlich beeindruckt zu sein. Eine Ära geht zu Ende, eine neue Zeit zieht herauf. Die Beobachter sind starke Individuen, die sich nicht beugen lassen. In Tizians Gemälde zeigen sie sich in kraftvoller Gestalt und wunderbaren Farben.

Schräg gegenüber der Frari-Kirche die Scuola di San Rocco: ein pompöses Versammlungsgebäude des niederen Adels, der Bürger und der Handwerker, dessen Festsaal Tintoretto mit Wand- und Deckengemälden ausgestattet hat. Ein kleiner Nebenraum ist der Kreuzigung Christi vorbehalten, einem Werk, programmatisch nicht nur für die übrigen Bilder in diesem Haus, sondern auch für Tintorettos Abkehr vom klassischen hin zu einem radikal romantischen Stil.

Die Nebensache triumphiert. Das Kreuz liegt noch auf dem Boden, Christus streckt dem Betrachter die Fußsohlen entgegen, Seile und Spaten liegen umher. An der Kreuzigung sticht weniger ins Auge, daß jemand hingerichtet wird, als die Art und Weise, wie dies vonstatten geht. Über den Wert eines Kunstwerks entscheidet aber bekanntlich das Wie und nicht das Was. Das eine ist jedoch ohne das andere nicht zu haben. Was deutlich wird, wenn man die rechte Bildhälfte von Tintorettos Kreuzigung betrachtet, wo auf Pferden sitzende Offiziere sich zusammendrängen, zu keinem anderen Zweck, als dem Künstler Gelegenheit zu geben, die Körper der Tiere und der Menschen virtuos ineinander zu verschlingen.

Das Ergebnis, das Was, ist ein beeindruckendes Ornament, das Wie, der künstlerische Wert des Gemäldes, ist kläglich. Der verlorene Gegenstand verliert die Farbe, Malerei verkümmert zur grauen Zeichnung. Dem entsprechen die um das Kreuz verstreuten Gegenstände. Der Realismus wird einem Naturalismus geopfert. Die Tragödie der Kreuzigung geht unter in einer dramatischen Inszenierung, in der Mensch und Natur, nun, da es um nichts mehr geht, so tun müssen, als ginge es um etwas.

Realismus gegen Naturalismus, die klassische gegen die romantische Haltung – dieser Widerstreit bestimmt die Entwicklung der Kunst: kein friedliches Miteinander, sondern ein erbitterter Kampf, ausgefochten zuerst in der Malerei. Sie war die fortgeschrittenste unter den Künsten. Die Musik hetzte erfolgreich hinter ihr drein. Die Wiener Klassik schließlich überstrahlte alle anderen Künste. Sie bildete eine Schule ebenbürtiger Meister, wie auch die venezianische Malerei schulbildend war.

Adorno zufolge beginnt mit jenen Streichquartetten, die Mozart Haydn gewidmet hat, der Vorrang der Komposition vor dem Musizieren. In den Jahren vor der Französischen Revolution wird das Streichquartett zum Inbegriff der Emanzipation des Bürgers: Vier Instrumente sprechen gleichberechtigt miteinander, keine Stimme dominiert, keine duckt sich. Wenn vier etwas zu sagen haben und das gleichzeitig tun, bedarf es höchster Kunst. Kein Ton zuviel, keiner zuwenig.

Dieses Idealbild der Gleichheit, in dem man sich miteinander, gegeneinander und durcheinander zu Wort meldet, wird erreicht im vollendeten Kunstwerk. Dieses ist wie alles andere auch eine Ware, aber eine besondere; es hat den denkbar höchsten Gebrauchswert, also eine sehr strenge innere Ökonomie. Insofern ist das Kunstwerk in der Warenwelt ein Störfaktor.

Der Höhenflug der Wiener Klassik endete mit einem Absturz, als nach der Niederlage Napoleons die Errungenschaften der Französischen Revolution liquidiert wurden und beim Wiener Kongreß die finsterste Reaktion in Gestalt des alten Feudalismus an die Macht kam. Diese Katastrophe wurde auf geniale Weise von Schubert in Musik gesetzt. Schubert, aufgewachsen in der Klassik, sah nun das Ideal der Gleichheit zerbrechen. Der Bürger hatte nichts mehr zu reden. Schubert empfand das als persönliche Niederlage. Er zerstörte Haydns revolutionäre Sonatenform der Vielstimmigkeit, zeigte in schmerzhafter Homophonie, daß es nichts mehr zu sagen gab, versank aber nicht in Verzweiflung. Er gab dem Schmerz musikalisch eine fröhliche Gestalt. Mit dieser Demonstration des Widerstands blieb er Klassiker. Die künstlerische Kapitulation überließ er den Romantikern.

Das 19. Jahrhundert war die Epoche einer politisch-ökonomischen Perversion. Das Bürgertum fand sich damit ab, politisch mundtot zu sein, und genoß es, sich wirtschaftlich entwickeln zu dürfen. Sein Bewußtsein schrumpfte auf das eines Wirtschaftstreibenden. Das Bürgertum kaufte Kunst.

Kaufen kann man nur, was es bereits gibt. In einem solchen Milieu ist Kunst, die Neues schafft, nicht möglich. Das Neue war dem Bürgertum verhaßt. Es kaufte das Alte, zum Beispiel die Gotik, und baute neugotisch. Es konnte sich nicht satthören an der Musik Wagners, der in seinen Opern uralten Schwachsinn erzählte mit dem Mittel des Leitmotivs, also der modernen Reklame – ein Labsal für den Krämer.

Eine Befreiung von dieser gesellschaftlichen Rückentwicklung bringt erst die Moderne, die aufkeimt, als die politische Dominanz des Feudalismus schwindet, die Künstler aber auch nicht vergessen, mit welch geistiger Enge das Bürgertum geschlagen war. Die ästhetische Moderne ist ein gewaltiger Bruch mit einer
unsäglichen Vergangenheit. In Wien, einem der Zentren des Neuen, begründeten Otto Wagner die moderne Architektur, Schönberg, Berg, Webern die neue Musik, Musil und Karl Kraus erheben die Literatur in den Rang der Sprachkunst.

Von da an ist die Entwicklung der Kunst bis heute eine Schlammschlacht gegen die ästhetische Moderne - eine unerbittliche Konfrontation der klassischen Haltung mit dem romantischen Gegner, welcher Menschenverachtung hochhält und die Zerstörung der Kunst anstrebt, um sie mit dem Kapital zu versöhnen und sie, das außergewöhnliche Produkt, zur gewöhnlichen Ware zu degradieren.

Diese Schlammschlacht wird, wie ihr Name sagt, mit niederträchtigsten Mitteln geführt. Es ist eine Schlacht der Avantgarde gegen die Moderne, wobei die Avantgarde die Lüge ausposaunt, die Moderne zu sein. Die Avantgarde wird kräftig unterstützt von einem publizistischen Gesindel, das die Propaganda, der Kunstbegriff müsse erweitert werden, mit einer Inbrunst verbreitet, als gälte es, die Welt zu retten. Dabei ist es ihnen nur darum zu tun, das Kunstwerk und mit ihm die Kunst abzuschaffen. Das Kunstwerk, das sich zwar dem Begriff entzieht, aber des kritischen Urteils bedarf, wird der Beliebigkeit preisgegeben. Kunst als Darstellung der Welt, bei Tintoretto zum Ornament verflacht, soll überhaupt ein Ende haben.

Diese Tendenz der Avantgarde ist extrem politisch, weil die Avantgarde mit dem Faschismus liebäugelt. Exemplarisch der Futurismus, der bald nach dem Ersten Weltkrieg sich in Kriegsbegeisterung ergeht und alles und jedes, vor allem die Kunst, zerstört sehen will. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzt der Wiener Aktionismus ein starkes Zeichen. Kriegspropaganda, vorderhand passé, wird ersetzt durch einen Künstlerkult, der sich vom Führerkult herleitet. Der Künstler tritt vors Publikum, legt an seinen Körper Hand an und entleert ihn nebenbei, das Ergebnis, das Kunstwerk, ist ein Gemisch aus Blut und Exkrementen.

Galt bisher, daß von einem vollendeten Kunstwerk zu sprechen sei, wenn der Künstler in diesem gewissermaßen verschwinde, tritt nun ein neuer Maßstab in Kraft. Der Künstler ist das Kunstwerk. Der Aktionismus der Nachkriegszeit wirkt bahnbrechend. Kunst ist nicht mehr Darstellung der Welt, sondern Darstellung des Künstlers. Sein Produkt, ob ein Häufchen Blut und Exkremente oder ein paar Seiten Wortgeklingel oder ein paar Minuten Geräusche – das Produkt wird zur Nebensache, zum Podest, auf dem die Hauptsache, der Künstler, throhnt.

Der Künstler, früher Warenproduzent, der eine Ware, ein Kunstwerk, herstellte, wird selbst zur Ware. Er preist nicht sein Produkt an, sondern sich selbst. Macht jemand eine Installation, legt er einen seitenlangen Text bei, in dem zu lesen ist, worum es geht. Letztendlich um ihn, den Installateur. Autoren, Autorinnen werden nicht müde, stundenlang Auskunft zu geben über ihr Werk, letztendlich über sich selbst. Zwei österreichische Autoren, Selbstdarsteller von weltmeisterlichem Format, stritten darüber, wer von ihnen einsamer war.

Das Pendant zu dem Künstler, der verlautbart, er sei alles, ist der Künstler, der jammert, er sei nichts. Er wirft sein Zeug auf den Markt und ruft: Macht damit, was ihr wollt, die Hauptsache, ihr macht was: Verdreht mir die Worte im Mund, stellt den Sinn auf den Kopf, egal, ich gehöre ganz euch, die ihr wieder anderen gehört. Gemeinsam huldigen wir der Resignation, wissend, daß das Establishment uns dafür hofiert.

Der Künstler als Kunstwerk ist die Weiterentwicklung von Nietzsches Übermenschen zum faschistischen Herrenmenschen. Die Nazis verloren Krieg und Führer, bildeten einen großen Teil der Bevölkerung, eine stumme Masse, die Verbitterung und Wut verströmte und so die Nachkriegsgesellschaft verpestete. Die Sehnsucht nach einem neuen Führer war groß. Politiker kamen damals nicht in Frage, also versuchte man es mit Künstlern. So bescheiden die politische Wirkung, so groß war die geistige Verwüstung.

Otto Bauer beschäftigte sich im Exil mit den faschistischen Entwicklungen im Europa der dreißiger Jahre. Er kam zu der Einsicht, daß ihnen eines gemeinsam war: Der „geistige Sektor“ marschierte bei der Faschisierung voran. Heute ist es nicht anders. Das Kultur- und Geistesleben steht rechts vom politischen Rechtsextremismus. Die künstlerische Avantgarde überschattet die ästhetische Moderne, kann sie aber nicht auslöschen. Die Avantgarde wird das Problem nicht los: Die Moderne in ihrem Bemühen um Kunst ist der Maßstab, an dem die Avantgarde gemessen werden müßte, mit dem Ergebnis: Avantgarde ist Schund.

Schund entbehrt nicht der Faszination. Man muß ihm nur den richtigen Namen geben. Schüttet ein Maler Blut auf eine Leinwand, ist das erst interessant, wenn das Bild als Schüttbild bezeichnet wird. Ein Wort für das Nichtssagende beigestellt zu bekommen wird zum geistigen Erlebnis, der Betrachter zum Kunstliebhaber. Er braucht nur das Wort „Schüttbild“ auszusprechen, schon ist er meinungseins mit anderen Kunstliebhabern.

Zwei Heroen der ästhetischen Moderne sind Karl Kraus und Bertolt Brecht. Kraus, für den die größte literarische Form der Satz ist, stellt an die Sprachkunst Anforderungen wie Mozart an das Streichquartett. Ein dahingesagtes Wort, eine nicht durchdachte Formulierung, ein verwackelter Satz und das ganze Textgebäude kracht zusammen. Dieser Anspruch bedroht die literarischen Plappermäulchen in ihrer Existenz.

Brecht war insbesondere in der Nachkriegszeit das Feindbild der Avantgarde. Ionesco sprach das offen aus. Brechts Konzeption, man habe sich mit dem Bestehenden nicht abzufinden, zu viele Gründe gebe es, die Welt zu verändern, lehnte Ionesco nicht ab, behauptete nicht, die Welt sei menschenwürdig eingerichtet, am Bestehenden sei also nicht zu rütteln, sondern fundierte seine Position mit schlechter Metaphysik, in der Meinung, sich auf diese Weise unangreifbar zu machen. In der Welt, verkündete er, lasse sich kein Sinn erkennen, also entbehre auch die menschliche Existenz jedweden Sinns.

Die Sinnlosigkeit von allem und jedem wurde zum Schlagwort der Nachkriegs-Avantgarde. Die Kritik erklärte sie begeistert zur aktuellen Moderne. In Schwang kam, Samuel Becketts Werk kann nicht ausgenommen werden, ein Spießbürger-Nihilismus, der Orgien von Vergeblichkeit inszenierte und sich in Weltuntergangsphantasien suhlte. Kunst ist nicht mehr Darstellung der Welt, sondern des Weltuntergangs. Sie wird zur Propagandistin jener Machthaber, die keinen Hehl daraus machen, daß sie die Welt, sähen sie ihre Macht gefährdet, ohne zu zögern in Schutt und Asche legten.

Das Neue, Lebenselixier von Kunst, ist nach wie vor suspendiert; das Neue, verschwistert mit Weltveränderung, weicht der Weltflucht. Zivilisation, Nährboden der Kunst, wird verteufelt als Dekadenz. Alles blickt auf den einsamen Künstler, auf jenen Helden, der im Kampf mit der Kunst unterlegen ist und nun dem Publikum, das im Kampf mit dem Verstand denselben verloren hat, voranschreitet in den Untergang. Dort geht es, geduldete Fremde tischen heimische Köstlichkeiten auf, lustig zu. Die siegreichen Verlierer werden gespeist und abgespeist.