Michael Scharang

 

Herr und Knecht werden eins

Über den jüngsten Versuch, Herrschaft ein
für allemal zu erzwingen, und warum auch er scheitert

Tagaus, tagein wird verkündet: Die Reichen werden reicher, die Armen ärmer. Die Reichen und die Armen gähnen schon vor Langeweile. Wen sonst aber soll die Botschaft erreichen? Niemanden. Es ist auch keine Botschaft, nur eine Nachricht. Und die enthält eine Information, die sich an alle richtet. Sich an alle zu richten, ist aber ebenso nichtssagend, wie sich an niemanden zu richten. Die Information - manche werden ärmer, manche reicher - wird mit Zahlen garniert. Die liegen als Kadaver neben der Straße. Die Straße der Erkenntnis bleibt leer. Sie aber hätte man entlangwandern müssen, um der Einsicht in die Sache näherzukommen: Eine Gesellschaftsordnung, die Armut gebiert und karitativ verwaltet, muß gestürzt werden.

Das ist ein Urteil, keine Meinung. Die Funktion der Meinung ist, den wunden Punkt einer Sache gesundzubeten, anstatt die Wunde zu heilen. Das folgenlose Reden wird als Meinungsfreiheit gefeiert. Die erschöpft sich darin, daß man allen alles sagen darf, weil es ohnedies niemanden interessiert. Wirft man eine Überfülle an Nachrichten, von denen niemand sich angesprochen fühlt, in die Welt, führt der Umstand, daß niemand reagiert, zu einer geistigen, politischen und sozialen Starre der Gesellschaft. Starre ist schlimmer als Stillstand. Sie entsteht, wenn die Machthaber verhindern, daß die geschichtliche Entwicklung sich auch nur einen Fußbreit vorwärtstastet - sie schießen dem Fortschritt, sobald er ausschreiten will, ins Bein, wissend, daß sie sonst Opfer dieses Fortschritts würden.

Eine Bevölkerung mit Belanglosigkeiten wie dem Spruch von den Armen und den Reichen lahmzulegen ist keine neue Herrschaftstechnik, sondern die Urform von Herrschaft. Die will von Anbeginn, sobald sie die Macht erobert hat, nur eines: an der Macht bleiben, und zwar für immer. Sie selbst hat durch Machtergreifung Geschichte geschrieben, nun soll die Geschichte stillstehen. Dem Machthaber ist der Gedanke unerträglich, er könnte die Macht verlieren. Er darf sie anderen entreißen, niemals aber wird er selbst sie loslassen.

In der Folge verfällt die gesamte Gesellschaft, von der Despotie der jeweiligen Macht verformt, der Schizophrenie. Die in Gegensätze gespaltene Gesellschaft, der Herr oben, der Knecht unten, darf kein Bewußtsein dieser Spaltung haben; daß es ein Oben und ein Unten gibt, soll als natürlich erscheinen. Die gespaltene Wirklichkeit, gekittet mit der Lüge, alles sei harmonisch eingerichtet, schafft ein gespaltenenes Bewußtsein, das sich nicht artikulieren darf und deshalb als Krankheit die Gesellschaft erfaßt.

Bestünde Gefahr, die Armen rotteten sich zusammen, um das Unglück, daß sie immer ärmer werden, abzuwenden, würde man es nicht wagen, die Nachricht von den immer ärmer werdenden Armen zu verbreiten. Sie könnte die Massen noch mehr aufstacheln. Die Nachricht geriete zur Botschaft. In dieser Situation wäre es auch nicht ratsam, von den reicher werdenden Reichen zu berichten, die Armen könnten zwischen dem Ärmer- und dem Reicherwerden einen direkten Zusammenhang sehen und auf die Idee kommen, ihn zu zerschlagen.

Davon kann keine Rede sein. Der Skandal um die Armen besteht einzig darin, daß er kein gesellschaftlicher Skandal ist. Im besten Fall fragt man sich, was das für Leute sind, die Armen. Lauter Tölpel? Das fragen die Armen sich auch: Die Opfer bekennen schuldbewußt, es nur zum Opferdasein gebracht zu haben. Der Knecht bäumt sich nicht dagegen auf, Knecht zu sein, er fügt sich darein. Sein Bewußtsein wird knechtisch. Das bedeutet grenzenlose Unterwerfung. Der Knecht, da er nicht vorhat, sich gegen den Herrn zu stellen, bildet sich ein, ihn nicht fürchten zu müssen.

Der Herr wiederum, der dem Knecht endlich beigebracht hat, daß es besser ist, nicht aufzubegehren, lebt ohne Angst vor dem Knecht. Er kann sich guten Gewissens der Herrschaft hingeben, deren einzige Grenze von der grenzenlosen Unterwerfung des Knechts gezogen wird. Das ist der gegenwärtige Zustand der Welt. Der krasse Gegensatz von Herr und Knecht, deren diametrale Interessen, stehen nicht mehr zur Debatte, und es wird, obwohl der Gegensatz sich verschärft, so getan, als sei gerade der Riß, der durch die Gesellschaft geht, das Aufregende: das Salz, das die kapitalistische Suppe so schmackhaft macht.

Der Spätkapitalismus ist ein politisch-ökonomisches System, von dem Teile im Absterben begriffen sind, worauf die Betreiber des Systems sogar mit Stolz hinweisen: Obwohl kaum mehr etwas funktioniert, dreht das Werkel sich immer noch. Das Fundament des Systems ist nicht mehr rational, es ist religiös. Bleut man den Leuten ein, daß es eine Welt ohne Gott nicht gibt, dann ist das auch so. Wird nichts anderes mehr verkündet, als daß es zum Kapitalismus keine Alternative gibt, wird das wohl stimmen. Existiert ganz allgemein zum Bestehenden keine Alternative, verlieren Interessen, die der einzelne vorbringt, ihren Sinn: Politik wird zur Glaubensfrage. Und Glaubensfragen werden wieder politisch.

Politiker zu sein ist nicht mehr Beruf, sondern Berufung. Der Politiker beruft sich nicht auf Wähler, sondern auf Höheres, dem er dient: das Vaterland, das Volk, die Heimat und vor allem das, was allen gemeinsam ist. Früher rekrutierte der Herr politisches Personal und teilte es in Hälften. Die eine hatte die Aufgabe, Politik im Sinn des Herrn zu betreiben, die andere war für Opposition zuständig. Die Arbeitsteilung, Ergebnis einer prosperierenden kapitalistischen Ökonomie, die, um die Warenproduktion zu steigern, die Arbeitsteilung ins Bizarre treibt und die Produzenten separiert in Spezialisten und Handlanger, diese Arbeitsteilung wird brüchig, wenn die Wirtschaft in einer Dauerkrise steckt und der Kapitalist nach einer Maschine verlangt, welche die ganze Arbeit macht, sodaß er weder den Spezialisten noch den Handlanger braucht.

Ähnlich der Maschine, die alles selbst macht, ruht nun die ganze Last der Herrschaft auf den Schultern des Herrn: das Geschäft, die Politik und die Sicherung der Macht. Ein neuer Typus entsteht, er ist Geschäftmann, Politiker und Machtmensch in einem. Für das Publikum wirkt verwirrend, daß er ständig die Rollen und somit die Meinungen wechselt - schließlich können die Interessen des Geschäftsmanns nicht immer mit denen des Politikers oder des Machthabers übereinstimmen. Der gegenwärtige Präsident der USA verkörpert diesen Typus exemplarisch, da er einem mächtigen Land vorsteht, das ihm die ideale Bühne bietet.

Um als geschichtliche Novität gewürdigt zu werden, macht er lautstark auf sich aufmerksam. Er schockiert die Öffentlichkeit, im Wissen, daß er sie anders nicht erreicht. Wird er wenigstens von einem Teil der Öffentlichkeit verteufelt, hat er geschafft, was er schaffen wollte. Sein Auftreten als pomadiger Raufbold kündigt an, daß eine andere Ära anbricht; rauhe Sitten verheißen rauhe Zeiten. Der Herr steigt auf die elektronische Kanzel und beginnt den Kampf für Verbesserungen in seinem Land, indem er die Wehrlosen verhöhnt und die Hilflosen vernichtet. Der Knecht ist begeistert, denn er wird verschont.

Der Herr schneidet materiell gut ab, der Knecht ideell. Sein Arbeitsplatz, wenn er ihn nicht schon verloren hat, wackelt zwar, umso sicherer ist ihm ein Platz in der Gemeinschaft. Je mehr er sich in materiellem Verzicht üben muß, desto unersättlicher wird sein Bedarf an ideellem Zuspruch, an Propaganda. Der Herr stellt sie ihm gern zur Verfügung, da sie vor allem ihm selbst nützt. Herr und Knecht leben in geistiger Symbiose. Der alte Vorwurf, daß der Herr es sich auf Kosten des Knechts gutgehen läßt, ist, was die ideelle Existenz betrifft, außer Kraft gesetzt.

Der Kulturbetrieb, knechtischer Helfershelfer des Herrn, wird angehalten, Herrschaft mit kulturellen und künstlerischen Mitteln so zu kritisieren, daß der Zuschauer amüsiert feststellt, daß ihn mit der Kultur eine tiefe Verwandtschaft verbindet. Auch er wird ständig aufgefordert, Kritik zu üben und Verbesserungsvorschläge zu machen. Der Kulturbetrieb, auf Kritik abgerichtet, die dem Herrn nicht wehtut, steht fassungslos dem neuen Typus des Herrn in Gestalt des amerikanischen Präsidenten gegenüber. Der Betrieb fragt sich bestürzt, ob es tatsächlich Dümmeres gibt als ihn, den Betrieb. Er verkennt den Präsidenten, er verkennt die Wirklichkeit.

Der neue Typus des Herrn ist dem Kulturbetrieb insofern geistig überlegen, als er keinen Unterschied macht zwischen dem geistigen und dem ökonomischen Leben. Der Roman, die Installation, das Theaterstück, die den Präsidenten ausweiden, werden reduziert auf das, was sie ohnedies sein wollen: Jux für die Party. Der neue Typus stellt neue Kriterien auf. Früher galt als Maßstab die Zwangsharmonie zwischen Kritik und dem Kritisierten. Der Zuschauer bezahlte dafür, daß er der kritische Adabei eines kritischen Scheingefechts sein durfte. Der neue Typus des Herrn verzichtet auf diesen Betrug, indem er sich selbst als Inbegriff des Betrugs zu erkennen gibt. Diese Geschäftsstörung verzeiht ihm das Kulturgeschäft nicht. Der Faschismus, sagt Walter Bejamin, betreibt die Ästhetisierung der Politik. Die bürgerliche Kultur, strikt gegen jede Politisierung der Kunst, schafft dazu die Voraussetzung.

Ist der Kulturbetrieb für verbrämte Kritik zuständig, die außer ihm niemand als kritisch wahrnimmt, kämpfen die intellektuelle, die akademische und die Medienwelt mit offenem Visier. Ihre Kritik wird unverblümt geäußert, in Wort und Bild prangert sie Mißstände an und macht Vorschläge, wie die Welt besser einzurichten sei. Sie brüstet sich, konstruktiv zu sein; ihr gegenüber erscheinen die politisch-ökonomischen Kräfte, welche die Realität prägen, als destruktiv. Was für eine Verkehrung der Verhältnisse, was für ein Täuschungsmanöver! Kritik am Kapitalismus ist die stabilste Säule, auf die das im Niedergang befindliche System sich stützt. Sie ist die Verkehrung von Kritik, denn Kritik, die konstruktiv ist, ist keine.

Einer Schlammlawine gleich ergießt diese Spottgeburt von Kritik sich über die Welt, erstickt die Wirklichkeit und setzt an deren Stelle die Reklame. Die Parole heißt Wert. Der Begriff des Werts gehörte in Zeiten, als der Kapitalismus eine Zukunft hatte, der ökonomischen Sphäre an. An der Entwicklung dieses Begriffs, an seinem Bedeutungswandel, läßt sich der Niedergang des Kapitalismus ablesen. Sank der Wert des materiellen Werts, wuchs die Bedeutung des ideellen. Der eroberte das Reich der Ideale – und Ideale sind Musil zufolge Verwesungsrückstände der Ideen.

Was nichts wert ist, wird zum Wert aufgeblasen. Was für die Faschisten die Volksgemeinschaft war, ist heutzutage die Wertegemeinschaft. Aus der Bevölkerung ein Volk zu machen genügt nicht mehr, die Wertegemeinschaft ist ein Gatter, in das ganze Völker gepfercht werden. In der europäischen Wertegemeinschaft füttert man sie mit europäischen Werten ab, wobei einige Länder, weil sie sich dieser Werte als nicht würdig erweisen, beinahe verhungern.

Früher wurde über Vor- und Nachteile der bürgerlichen Demokratie diskutiert, man lobte sie als repräsentativ, weil die Massen von Mitbestimmung ferngehalten wurden, schalt sie aber auch als formal, weil es an demokratischem Inhalt fehlte. Dieser Mangel wird heute übertüncht mit demokratischen Werten. Um das Bedürfnis abzutöten, die Demokratie mit Inhalt zu füllen, wird sie zum Wert verdünnt, womit, was einmal als einzulösendes Versprechen galt, zur Reklame für die undemokratische Realität wird.

Diese neuen autoritären Verhältnisse machen, wo der Nationalismus erstarkt, Platz für den alten Faschismus. Die beiden passen zusammen. Das Kapital agiert international, daheim ist es aber im jeweiligen Nationalstaat, wo es, wenn es in Bedrängnis gerät, faschistisch zu regieren trachtet. Im Faschismus wird der Knecht zum Herrn, dem vom wahren Herrn erlaubt wird, mit bestimmten Teilen der Bevölkerung, die zum Opfer ausersehen sind, nach Gutdünken zu verfahren.

Das Patriarchat erlebt eine Blüte. Patriarchat ist nicht bloß die Machtanmaßung des Mannes, es ist die Herrschaft von Herr und Knecht, bei welcher jener Mann, der sich über den anderen stellt, dem unteren einräumt, seinerseits nach unten zu treten: auf die Frau. Der Herr billigt, der Knecht betreibt die Unterdrückung der Frau. Wenn ihm sonst alles genommen wird, dieses Opfer gehört ihm. Die Frau, die sich aus dieser Situation befreien will, lernt den Knecht als Herrn, als ihren schlimmsten Widersacher kennen. Selbst dort, wo der Knecht sich auflehnt, ja in einer Revolution den Herrn stürzt, tritt er aus seiner Rolle als Unterdrücker der Frau nicht heraus. Die Frau, die um ihre Befreiung kämpft, wird im Mann keinen Kampfgefährten finden. Der Knecht, der sich vom Herrn befreit, ist mutig, die Frau, die sich vom Mann befreit, heroisch.

Es hat den Anschein, als entstehe dadurch, daß Herr und Knecht ideologisch eins werden, ein Herrschaftsgebilde, an dem zu rütteln vergeblich ist. Gegen eine Macht anzukämpfen, die in nichts so geübt ist wie im Kriegführen, scheint aussichtslos zu sein. Es gilt das Prinzip, daß der Krieg kein Ende finden darf, nicht der gegen Drogen, gegen Terror, gegen Islamismus, und daß die wirklichen Kriegsschauplätze nicht weniger werden dürfen. Selbst die Wirtschaftskrise wird als Dauerkrise beschworen, und die Weltwirtschaft, die sich im Kriegszustand befindet, dämonisiert man als Globalisierung. Das gegenwärtige Herrschaftssystem erscheint als das geschlossenste aller Systeme und aller Zeiten, und gerade daran zerbricht es. Denn der Mensch ist gegen Unterdrückung und Manipulation resistent, und zwar nicht geistig, sondern dank seiner Natur. Die Menschheitsgeschichte ist Teil der Naturgeschichte. Der Geist kam spät dazu, auf ihn ist kein Verlaß.

Die Hegel’sche Denkfigur von Herr und Knecht ist deshalb so produktiv, weil sie dem Knecht keinen Ausweg läßt. Der Herr ist die trostlose Konstante. Bewegung in die Geschichte bringt einzig der Knecht. Er hat nur die Wahl, Knecht zu bleiben oder den Herrn zu stürzen. Angewidert von der Willkür der Macht, die ihn hinunterdrückt, lehnt er eine Gesellschaft, in der es ein Oben und Unten gibt, ab. Der Knecht hat entweder ein revolutionäres Bewußtsein oder ein knechtisches. Ersteres zielt auf den Sturz des Bestehenden, letzteres führt zur Selbstverleugnung, die in Selbstzerstörung endet.

Bisher ist das Ziel selten erreicht worden, was aber als Einwand nicht taugt. Denn gibt der Knecht das Ziel auf, gibt er sich selbst auf. Ein Beispiel aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ist die Selbstzerstörung der großen kommunistischen Parteien Westeuropas. Man hatte ein Ziel, die Revolution, bezeichnete es aber von Anfang an als unerreichbar. Also gab man es auf. Die vielversprechenden Parteien zerfielen schnell und vollständig.

Ein Ziel zu haben, das man aber heute, vermutlich auch morgen und übermorgen, nicht erreichen kann, ist kein Widerspruch, sondern ein Ansporn. Der hysterischen Angst des Machthabers steht die endlose Geduld des Revolutionärs gegenüber, gestützt auf das Wissen, daß Geschichte nicht nach einem Terminkalender abläuft, in dem Revolutionen eingetragen sind, sondern daß man heute nicht weiß, was morgen sein wird. Im Paris der 68er-Bewegung schlossen sich den antikapitalistischen Studenten überraschend kommunistische Arbeiter an. Weniger überraschend: Paris war im Nu von Panzern umstellt.

In ruhigen Zeiten fahren keine Panzer auf – die Unterhaltungsindustrie geht in Stellung. Für den Unterhalt des Knechts zu sorgen heißt, den Knecht rund um die Uhr zu unterhalten. Dafür muß der Knecht allerdings zahlen. Er braucht die Unterhaltung so dringend, daß er froh ist, dafür zahlen zu dürfen.

Früher hatte der Knecht nach der Arbeitszeit eine Freizeit, die ihm von der Unterhaltungsindustrie versüßt wurde. Heute hat die Arbeitszeit kein Ende, da die ganze Welt zum Arbeitsplatz geworden ist. Der Knecht, dank elektronischen Geräts jederzeit erreichbar, kann die Arbeit in der Freizeit fortsetzen. Er empfindet sich nicht als versklavt, sondern auf dem Weg, ein anerkanntes Mitglied der Gesellschaft zu werden. Denn nur wer immer arbeitet, kann hoffen, den Arbeitsplatz nicht zu verlieren.

Um am Arbeitsmarkt etwas wert zu sein, muß der Knecht, als wäre er der Unternehmer, Investitionen tätigen. Er muß das Gerät, mit dem er sich zum immerwährenden Arbeiter degradiert, selbst kaufen, nach Möglichkeit das neueste und beste. Der elektronische Krempel, der dabei millionenfach in Umlauf kommt, bildet den bei weitem produktivsten Sektor des Kapitalismus. Der technische Fortschritt dient nicht der Emanzipation des Menschen, sondern dem gesellschaftlichen Rückschritt.

Die Gerätschaften, an die der Knecht sich klammert, um im Konkurrenzkampf nicht unterzugehen, müssen auch eine vergnügliche Seite haben, damit die Arbeitskraft nicht vorzeitig kollabiert. Die Demütigung des Menschen ist gekoppelt mit seiner Verblödung. Das elektronische Gerät, das die Welt zur Arbeitswelt verengt, offeriert gleichzeitig alles, was die Welt an Lustbarkeit zu bieten hat, an Spielen, Filmen, Musik und Information. Das Überangebot macht Vergnügen zum Zwang. Der Knecht bleibt auch diesbezüglich ans Gerät gefesselt, aus Angst, daß ihm etwas entgeht.

Verblödung ist eine Heidenarbeit, sie wird vom Herrn gesamtgesellschaftlich organisiert. Anders, als der Gebildete es sich einbildet, geht die Verblödung nicht von den Boulevardblättern und der Massenunterhaltung aus, sondern vom Ungeist der geistigen Elite, den Universitäten, den Theatern und sonstigen Kultureinrichtungen, den Kultursendern und den Qualitätszeitungen, die sich so nennen, weil es ihnen an Quantität mangelt. Herr und Knecht werden auch insofern eins, als diejenigen, welche die Verblödung der anderen betreiben, dabei selber vertrotteln. Das erfüllt einen zwar nicht mit Hoffnung, aber mit Befriedigung.