Michael Scharang

 

Der Terror und die Terrorbekämpfung - was für ein hübsches Paar


Der Terrorist sehnt sich nach Ordnung. Nicht nach irgendeiner, sondern nach der absoluten. Dieses Ideal sucht er in der Vergangenheit. Die Gegenwart verachtet er, sie ist ständig auf dem Weg in die Zukunft, und hier wie dort findet er keinen Halt.

Die Heimstatt des Terroristen ist das gute Alte. Das hat es zwar nie gegeben - was ihn aber nicht stört. Schließlich ist es seine Mission, das gute Alte zu schaffen. Was ihm normalerweise nicht gelingt. Außer in jenem historischen Augenblick, in dem er einen Terroranschlag verübt. Dann liegen eingestürtzte Gebäude und Tote umher, und zumindest ein Bruchteil der verrotteten Gegenwart ist für einen Augenblick ausgelöscht.

Doch die Zeit geht über Leichen und Ruinen hinweg und stellt die Unordnung wieder her. Verzweifelt muß der Terrorist das mitansehen. Deshalb überlegt er, das nächste Mal einen Selbstmordanschlag zu verüben. Bis dahin bleibt er ein ordentlicher Staatsbürger. Eine Gefährdung, aber keine Gefahr.

Außer er erobert wie im Nationalsozialismus die Macht. Doch auch wenn er diese Macht verliert: Er lebt stets in der Einbildung, einem höheren Ziel zu dienen. Er hat kein politisches Bewußtsein, aber einen politischen Instinkt.

Der Terrorist ist ein autoritärer Zwangscharakter. Er verabscheut die Menschen, weil sie Unordnung in die Welt bringen. Er macht sich klein, um nicht aufzufallen. Denn wer auffällt, stiftet Unordnung. Je kleiner er sich macht, desto größer wird sein Haß.

Er spricht nicht für sich, sondern im Namen aller. Zu Recht, denn er ist ein Produkt des Staates. Der Staat, ein Zwangsgebilde, bringt Zwangscharaktere hervor. Sie müssen vom Staat, ihrem Urheber, beschäftigt werden. Die Zwangscharaktere werden verteilt auf unzählige Institutionen, in denen sie ihren Ordnungsfanatismus ausleben können. Nur so kann der Staat sich vor Terror schützen. Wo Staaten nicht revolutionär verändert werden, sondern bloß zerfallen, werden aus Staatsbürokraten Terroristen. Sie wollen die alte Ordnung herstellen.

Der Bürokrat ist immer Terrorist und umgekehrt. In seiner Sehnsucht nach dem Terror wird der Bürokrat nicht müde, den wirklichen Terror in anderen Ländern als Gefahr für das eigene Land zu beschwören. Mit Erfolg. Die Bekämpfung eines Terrorismus, den es nicht gibt, wird zur zentralen Aufgabe des Staates.

Der Rechtsstaat löst sich dabei ebenso auf wie die Illusion, es lasse sich im Kapitalismus menschenwürdig leben. Der Staat verstärkt heute den Zwang auf den einzelnen in einer Weise, wie es das seit den Zeiten der Inquisition nicht gegeben hat.

Es trifft alle, auch Künstler. Die materiellen Bedingungen, die der Staat für die Produktion von Kunst schafft, ähneln zunehmend Folterinstrumenten. Ein Sozialfonds für Künstler bietet Hilfe an, jedoch unter Bedingungen absoluter Willkür. Es ist kein Zufall, daß in diesen Tagen ein Solidaritätskomitee für bedrohte Schriftstellerinnen und Schriftsteller gegründet wurde.


„Die Presse, Spectrum“, Wien, 10. 9. 2011
„Konkret“, Hamburg, Oktober 2011