Michael Scharang

 

Verfahren eines Verfahrens

Kritiken

Adolf Haslinger, 18. 2. 1969

Die Luchterhand - Drucke setzen unter der verdienten Edition Otto F. Walters, aus bekannten Gründen, die Walter - Drucke fort. Der originelle Herausgeber bringt darin Werke, „in denen sich Veränderungen des literarischen Ausdrucks unserer Zeit abzeichnen“. Dieses Wagnis verdient Beachtung, denn die Texte sind vordringlich experimentell und laufen dem allgemeinen Kunstverständnis meist weit voraus; das zeigen schon die beiden deutschen Autoren dieser Reihe: Franz Mon mit seinem Lesebuch und Michael Scharang mit dem Titel „Verfahren eines Verfahrens“. Der junge Österreicher Scharang eröffnet nach Helmut Heißenbüttel, der das Nachwort zu diesem Band schrieb, „eine neue Perspektive“. Die Prosa Scharangs geht tatsächlich neue Wege. Das ist gar nicht so einfach neben den Textern der Wiener Gruppe, neben Heißenbüttel und Mon. Scharang erzählt in den Prosastücken, von denen einige schon in der österreichischen Zeitschrift „Literatur und Kritik“ erschienen sind, selbstverständlich nicht im herkömmlichen Sinne. Er gestaltet nicht Erfahrenes aus der Erinnerung so, daß sich der Leser in Illusionen versetzt sieht. Seine Titel weisen schon auf das Modellhafte hin: Rüge, Abgängigkeit, Das Ende vom Anfang seines Endes, Herausgreifen eines Falles, Behandlung eines Falles usw. Keine imaginierte Realität bestimmt den Ablauf dieser Prosa, vielmehr werden innersprachliche Bewegungen mit methodischer Präzision ausgedrückt.

 

 

Helmut Günther in „Welt und Wort“, Heft 9, 1969

Man kann gar nicht umhin, hier von einem regelrechten Textbuch zu sprechen, einer Text-Fibel, die Antwort gibt auf die Frage: welche Möglichkeiten hat ein Autor heute, der nur noch von der Sprach-Welt, vom Sprach-Universum ausgeht. Heißenbüttel nennt einige Grundmöglichkeiten. Der Referent konnte der Versuchung nicht widerstehen, pedantisch zu sein und die Möglichkeiten zu katalogisieren. Es geht also ganz wörtlich darum, dem Verfahren eines Verfahrens nachzuspüren.

 

 

„Deutsches Monatsblatt“, Nr.11, Bonn, November 1971

Wo Brecht noch der einfachen Abkürzung vertraute, hat Scharang die Erfahrung aller Schwierigkeiten mit der Sprache in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts hinter sich. Er weiß, daß gerade der einfache Satz, der versucht, eigensinnig auf einen Gegenstand (oder Mißstand) hinzuzeigen, am ehesten doppelsinnig und mißdeutbar wird. Diese Erfahrung befähigt ihn zu den Positionsumkehrungen, die er vorführt. Wahrheit, wenn immer man davon sprechen kann, zeigt sich nicht im syntaktisch und begrifflich Definitiven, sondern in der Möglichkeit, im Entwurf der Rede.

 

 

„Volksstimme“, Wien, 11. 12. 1969

Der Genuß der Lektüre, das heißt Erhellung und zunehmender Sprachverstand für Erfahrungen und Tatsachen, stellt sich nach und nach ein und wird immer fündiger. Ein Fortschritt jedenfalls, der der Sorge um Wahrheit insgesamt kräftiger auf die Beine hilft. Wer bei Scharang mitgeht, dem wird das Abenteuer der Manipulation deutlich zerlegt.

 

 

„Neue Osnabrücker Zeitung“, Nr.108, 10. 5. 1969

Scharang setzt nicht Personen, er setzt Sprache in Bewegung. Im Ablauf der Satzketten, die den jeweiligen Vorgang verfolgen, verkehren sich die Positionen: Indem erzählt wird, entlarven sich, in der Verkehrung, die Verhältnisse von selbst; am Ende steht der Dieb, der sich vor dem Besitzer zu rechtfertigen sucht, als der Bestohlene da.

Scharangs Arbeiten weisen seine Originalität und frische Selbständigkeit aus. Er sagt, was er von dieser Welt hält, indem er die Möglichkeit der sprachlichen Verfahrensweisen bis zu ihren Grenzen hin nutzt.