Michael Scharang

 

Der Sohn eines Landarbeiters
Roman

Kritiken

Ingeborg Drewitz im „Tagesspiegel“, Berlin, 12. 9. 1976

Daß gerade Franz scheitert, der nicht dumm ist, der in der Lehre gut abgeschnitten hat, der nicht listig ist, aber angesichts der Hinter-der-Hand-Verbindlichkeiten der anderen unredlich wird – es ist die Logik der Unlogik gesellschaftlicher Wirklichkeit. Keine Einteilung in Schwarze und Weiße, in Besitzende und Nicht-Besitzende, keine unmittelbare Systemkritik (die ja denn doch mit einer Hoffnung verbunden wäre), sondern die Kritik an dem bis fast zur Lieblosigkeit geschrumpften Miteinanderleben. Und doch diese langsam wachsende Innigkeit der Mädchenmutter und die fast banale Tragik von Franzens Scheitern, der ja nicht besitzgierig ist, sondern das Natürlichste von der Welt für sich beansprucht, das Heim für sich und seine kleine Familie.

 

 

Wolfgang Promies in der „Zeit“, Hamburg, 26. 11. 1976

Geldbeziehungen vertreten die Stelle von Liebesbeziehungen. Und wo noch etwas wie die Anlage zur persönlichen Beziehung sichtbar wird – bei Erna und Franz – ist die Fähigkeit, sich seiner entfremdeten Situation bewußt zu werden und entsprechend zu verhalten – wie es der Gewerkschafter Benda vorlebt - noch zu jung entwickelt oder zu schwach ausgebildet, als daß sich Franz, als künftiger Ehemann, Vater und darum Hausbesitzer in spe, der Abhängigkeiten anders zu entziehen wüßte als durch Tod.

 

 

Ulrich Greiner in der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 14. 9. 1976

Wir lesen eine Studie über das Sozialverhalten in einer von der Verstädterung bedrohten Region des Burgenlandes. Scharangs Buch ist unterhaltsam, denn es erzählt eine Geschichte ohne Umschweife und Ausschmückungen, Langeweile gibt es selten, und schon ist man am Ende. Er versteht es, knappe oft witzige Dialoge zu formulieren, in denen Personen und Typen kenntlich gemacht werden.

 

 

Max von der Grün in den „Nürnberger Nachrichten“ vom 17. 7. 1976

Dieser Roman ist ein Lichtblick in der immer langweiliger werdenden Literatur, dieses Buch ist ein Beispiel dafür, was Literatur leisten kann: Menschen darstellen in ihren Konflikten und Ängsten, die nicht Erfindungen eines Autors sind, sondern konsequente Folgen gesellschaftlicher Entwicklungen, durch die der Mensch nicht zum Subjekt geführt, sondern als Objekt ökonomischer Interessen mißbraucht wird.

 

 

Helmut Mader in der „Stuttgarter Zeitung“ vom 15. 9. 1976

Diese einfache Geschichte wirkt aber nirgends simplifizierend, weil Scharang mit Hilfe von Nebenfiguren und Nebenhandlungen die ganzen sozialen Unterschiede und Belange mit einbezieht. Was aber lernt Franz Wurglawetz, was erkennt er, ehe er resigniert? Es ist, als ob Scharang lediglich eine Stelle aus einem seiner Aufsätze „poetisch verifizieren“ möchte: “Ein politisches Subjekt oder ein totes Individuum werden, ist das eine Alternative? – Ja, das ist eine Alternative.“

 

 

Lothar Baier im Norddeutschen Rundfunk am 25. 9. 1976

Obwohl Scharang seinen Roman mit österreichischen Ortsangaben versehen hat, ist es ihm gelungen, diesen Schauplatz in erster Linie als einen gesellschaftlichen Ort kenntlich zu machen. Es ist jener merkwürdige Zwischenbereich zwischen Stadt und Land, in dem sich städtische und ländliche Lebensverhältnisse überschneiden und die Menschen in einer von außen kaum erkennbaren, doppelten Abhängigkeit halten. Daß Scharang mit seinem Roman auf diese Welt der Pendler und proletarisierten Bauern einmal nachdrücklich aufmerksam macht, ist kein geringes Verdienst. Gemessen an „Der Sohn eines Landarbeiters“ ist das, was die österreichische Gegenwartsliteratur hie und da als Gesellschaftskritik anbietet, ein albernes Gerangel mit Chimären des vergangenen Jahrhunderts.

 

 

Hans E. Dede in der „Deutschen Volkszeitung“, Düsseldorf, 16. 9. 1976

Eine Außenseiterstory? Scharang zeigt, dass die äußere Zufälligkeit dieses Schicksals ein System verdeckt. Die vierundzwanzig Kapitel seines Buches thematisieren nicht ausschließlich Ereignisse aus dem letzten halben Lebensjahr der Titelfigur, sondern erschließen dem Leser auch deren sozialen Beziehungsraum. Träume und Wirklichkeit der Dorfbewohner und Baustellenarbeiter, scheinbar zusammenhanglose Vorfälle auf beiden Schauplätzen werden in kurzen Episoden beschrieben, deren Verschachtelung die individuelle Lebenskrise von Franz als literarische Überspitzung einer gesellschaftlichen Tendenz deutlich werden läßt.

 

 

Fred Sinowatz im „profil“, Wien, 5. 10. 1976

Für den Autor Michael Scharang ist das sicher eine exemplarische Geschichte. Von einem, der auszieht und nicht mehr zurückkommt, weil hinter ihm die Türen versperrt werden. Von einem, der vieles falsch macht, weil ihm die Möglichkeiten fehlen, einiges richtig zu machen. Und schließlich von einer Gesellschaft, die sich ihre Spielregeln zurechtgelegt hat und die ausschließt, die sich ihr eigenes Reglement zurechtlegen.

 

 

Almuth Hochmüller im „Mannheimer Morgen“ vom 14. 8. 1976

Es ist interessant, daß Scharang am Schluß seines Buches auf den Roman eines Landsmannes hinweist: „Schattseite“ von Franz Innerhofer, ein Buch, das dem Franz Wurglawez als Hochzeitsgeschenk ins Haus kam.  Es berichtet in deutlicher Parallele zu Franz’ Leben von dem „von Kind auf niedergewürgten Menschen“ Holl, der sich vergebens um Befreiung von den Zwängen des Gesellschaftssystems bemüht.

 

 

Kurt Kahl im „Kurier“, Wien, 16. 10. 1976

Der Fall ist denkbar: Daß einer der aufgeplusterten Unerheblichkeiten überdrüssig wird, wie sie in den Memoiren der Filmstars sich breit machen, und nach Wirklichkeit verlangt. Wie es im Leben der überwiegenden Mehrheit unserer Mitmenschen wirklich zugeht, wie die Leute leben, die unsere Häuser bauen und unsere Möbel tischlern, schildern die zwei jungen österreichischen Autoren Gernot Wolfgruber und Michael Scharang.

 

 

Jens Frederiksen in den „Kieler Nachrichten“ vom 12. 10. 1976

Mit wenigen präzisen Strichen werden die Handlung tragenden Figuren angedeutet, aber erst aus dem sich zwischen den Personen abspielenden Geschehen schälen sich die Charaktere in ihrer ganzen Plastizität heraus und lassen Umwelteinflüsse und –bedingungen deutlich werden. Der Autor benutzt zur Figurenzeichnung also Mittel des Dramas (klarere Konturierung der Charaktere mit fortschreitender Handlung). Hierin wie auch in der leicht mundartlich eingefärbten Sprache ist das Buch den Romanen des Österreichers Ödön von Horvath ähnlich, wenn es auch deren Eindringlichkeit nicht ganz erreicht.

 

 

Niklaus Oberholzer in „Die Ostschweiz“ vom 21. 8. 1976

Die Welt, wie Scharang sie schildert, ist glücklos. Die Liebe zwischen Franz und Erna, die der Autor als „schöne“ Liebesgeschichte beginnen, aber traurig enden lässt – wobei er die junge Frau mit viel Kraft, viel menschlicher Wärme, mit echter und selbstloser Liebe ausstattete – wirkt irgendwie stellvertretend für den Bogen der ganzen Handlung dieses Romans: Die Hoffnung, die anfangs noch da, noch möglich ist, wird schrittweise verschüttet. Scharang lässt es dabei bewenden und zeigt nicht, wo sich diese Hoffnung wieder entzünden könnte. Der Leser wird diese Arbeit, je nach seiner politischen und weltanschaulichen Überzeugung selber leisten müssen.

 

 

Susan L. Cocalis in “World Literature Today” vom Herbst 1977

Finally, it should be observed that there is a very marked element of social criticism in Scharang`s novel, but it is an implicit criticism which is integrated into his descriptions of the milieu, expressed by the juxtaposition of the various levels of the narrative or voiced by certain characters who are politically active. As such, this work represents a departure from the more theoretical, subjective novels of the author`s Austrian contemporaries, like Handke, and evidences more of an affinity to the graphic milieu-dramas of Sperr and Kroetz. In any case, Scharang`s return to a realistic narrative form, in which the fate of the individual characters clearly demonstrates the inherent contradictions of their social surroundings, can only be welcomed.