Michael Scharang

 

Bleibt Peymann in Wien oder kommt der Kommunismus wieder

 

Inhalt

Das Märchen vom Volk,
das so lange andere für sich sprechen ließ,
bis ihm die Spucke wegblieb

Rot-Häute
Eine Indianergeschichte

Der letzte Versuch eines Ausländers,
Österreich zu besuchen

Vater wie wars im Krieg
und andere Fragen

Zwischendurch eine Verlautbarung

Bleibt Peymann in Wien
oder kommt der Kommunismus wieder

Peinlich, peinlich
Antwort auf einen Leserbrief

Der Endsieg des Westens über den Osten
trägt sein Ende bereits in sich

Vom Wurstel zum Würstel
Die Entwicklung eines österreichischen
Intellektuellen

Warum hat Enzensberger außer der Frisur
nichts mit Hitler gemeinsam?

Pluch oder Warum ein Name nicht
um die Welt geht

Der Kleingeist als Großinquisitor
Ein Wiener Dozent für Philosophie erklärt den
Philosophen Benjamin für abgeschafft

Literaturtratsch

Zwischendurch eine Neuigkeit

Was Neues aus der Neuen Welt?

Die Sehnsucht des Geistes nach dem Tornister

Nachrichten aus Wien:
Zwei Ereignisse in einem Frühjahr!

Lebenselixier auf dem Misthaufen
Zu Elfriede Jelineks „Lust“

„du wundern mein schön deutsch sprach?“
Zu Ernst Jandls dreibändiger Werkausgabe

Das Geschwätz von der Identität

Die Dialektik des Dialekts
Zu Ernst Jandls „stanzen“

Barbarei, 3.Auflage

Auf zum letzten (Lichter)Scheingefecht

Zum Schluß eine Annonce


Leseprobe

Nachrichten aus Wien:
Zwei Ereignisse in einem Frühjahr!

Die Macht des Faktischen wird gespeist vom beflissenen Geist, welcher von der Macht darauf dressiert wurde, das Faktische, sofern es als übermächtig erscheint, auch noch zu hofieren, sofern es als armselig gilt, auch noch zu verhöhnen. Die Weltausstellung, welche Wien ebenso bevorsteht wie eine Volksabstimmung darüber, wird als übermächtiges Spektakel angstvoll herbeigesehnt und sehnsüchtig beschworen. Ob und wie die Weltausstellung stattfinden wird, spielt allerdings keine Rolle mehr, da jetzt schon das einzig Erwähnenswerte an ihr ein Essay ist, den Rudolf Burger über sie verfasst hat und in dem der Autor die Kulissen des Spektakels beiseite schiebt, um dem ebenso verdutzten wie faszinierten Publikum zu offenbaren, was dahintersteckt: nichts; nichts als eine große gesellschaftliche Leere.

Anders liegt der Fall beim Wiener Hexenprozeß, in dem man vier Hilfskrankenschwestern der Tötung alter, schwerkranker Patienten bezichtigte und überführte. Hier wurde eine gewaltige öffentliche Empörung entfacht, damit im Rachegeschrei die Frage nach der Schuld der öffentlichen Hand untergehe. Und wieder einmal erwies sich, dass der Rechtsstaat in Händen der politischen Schreibtischtäter und des Boulevards ist. In die vor Selbstgerechtigkeit strotzende Riege der rechtssprechenden Akademiker reihten sich sogar die für die Verteidigung vorgesehenen Rechtsanwälte ein; denn es durfte kein Verfahren stattfinden, es sollte von Berufenen im Namen des Volkes gegenüber vier Frauen aus dem Volk Abscheu bekundet werden.

Doch war der ganze Aufwand umsonst. Hinter dem Rücken des Vorurteils, der so breit war, wie Österreich groß ist, fand dennoch Rechtssprechung statt, wenn auch nicht durch die Justiz, so durch Werner Vogt, der in mehreren Aufsätzen den Fall, den man gern in den Abfall gestreift hätte, als charakteristisches Ereignis festhielt.

Wahrscheinlich ist es kein Zufall, daß die beiden Verfasser der genannten Arbeiten weder dem lohnschreibenden noch dem freischaffenden Gewerbe angehören; Burger steht als Ministerialrat im Staatsdienst und wirkt daneben als Philosoph, Vogt arbeitet als Unfallchirurg und als Autor. Die in Österreich vom Schreiben leben, scheinen dahin zu tendieren, nicht mehr über das Leben zu schreiben, um schreibend überleben zu können.