Michael Scharang

 

Charly Traktor

Kritiken

Michael Krüger in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 9. 10. 1973

Unter einer Lawine von voluntaristischen Theorien und halbwegs geglückten literarischen Hervorbringungen ist das Subjekt verschwunden: Der Arbeiter ist übriggeblieben, als Metapher, als abstrakter Begriff.

Eine einleuchtende Antwort auf dieses Problem gibt der erste Roman des Wiener Schriftstellers Michael Scharang: Charly Traktor. Um es gleich vorweg zu sagen: die schlagende Evidenz dieser Geschichte hat mich nachhaltiger überzeugt als alle andere Literatur zum Thema, einschließlich Karin Strucks „Klassenliebe“, und sie sollte Anlaß sein, die theoretische Diskussion auf eine neue Stufe zu heben.

 

Rupert Gmoser in der „Kleinen Zeitung“, Graz, 23. 9. 1973

Es geht aber nicht nur um die Analyse des Stellenwertes des einzelnen Arbeiters. Scharang ist ein Sozialkritiker, der die Problematik der Industriegesellschaft am konkreten Beispiel darlegen möchte. Arbeitsethos, Arbeitsleid, die Unmenschlichkeit der Arbeitsverhältnisse, Sorgen und Freuden des Alltagsbetriebes werden in einer klaren, prägnanten und damit unglaublich spannenden Weise dargestellt.

 

CK im „Wiesbadener Kurier“ vom 16. 3. 1974

Der Roman bezieht seine beeindruckende Kraft freilich aus der Einseitigkeit der Milieuschilderung. Es werden nur Fabriken mit schlechten Arbeitsbedingungen gezeigt, Fabriken, in denen der Arbeiter noch kämpfen muß. Charly kommt nur in Unternehmen, wo er der Leitung Ausbeutung vorwerfen kann, er orientiert sein Klassenbewußtsein ausschließlich am Negativen. Als Zugeständnis zu Radikalismus ist es auch zu werten, wenn Scharang die Gewerkschaft im Ernstfall versagen läßt. Im übrigen zieht er die Fronten nicht immer eindeutig, damit sein Held nur langsam und mühevoll, aber dafür umso logischer und sicherer seinen Standort erkenne und beziehe. Auch die gut eingepaßte Liebesgeschichte hat die Funktion, diese Entwicklung weiterzutreiben. Eine Bestätigung für die selbst erkannte Wegrichtung erhält Charly durch ein Buch, das ihm ein kommunistischer Arbeitskollege leiht. Er fühlt sich zum ersten Mal sicher.

 

Penelope in der „Neuen Zeit“, Graz, 9. 2. 1974

Scharang hat das Talent, für jene zu schreiben, über die er schreibt. Die Durchschnittsmenschen, die er Revue passieren läßt, werden anschaulich geschildert, interessieren den Leser von ihrem ersten „Auftritt“ an. Keine Figur wird vom Autor spürbar bevorzugt, als Hauptperson herausgestellt. Charly ist wohl zentralle Gestalt, seine „Mitspieler“ aber agieren nicht im Hintergrund, jeder einzelne verkörpert eine Persönlichkeit. So entstand ein lebendiges Buch, das jeden faszinieren dürfte.

 

Jürgen Lodemann in „Die Zeit“, Hamburg, 19. 10. 1973

Dieser Charly Traktor erscheint wie ein Wunderkind. Eine kleine Naturbegabung im Fach Widerstand – schon als Schüler verteidigt er listig seine Traktormütze mit dem Messer gegen die Übernacht der Mitschüler, die sie ihm wegnehmen wollen. Nicht das Sein, sondern ein Temperament prägt hier ein Bewußtsein. Charly hat glücklicherweise den „richtigen Blick“ mitbekommen: „Die richtigen Wörter kann man sich leicht aneignen“, sagt am Schluß ein weiser KPÖ-Mann zu Charly, „den richtigen Blick bekommt man nicht so leicht ... Du siehst die Dinge richtig.“

Ein allmächtiger, trickreicher Autor haucht seinen Figuren Lernprozesse ein und schiebt vor sein verkürzendes Verfahren Sprüche wie den, nur wenige, die mit richtigem Blick, seien auserwählt. „Charly Traktor“ erschien mir manchmal wie eine kunstvolle und kenntnisreiche Stilübung in Sachen Literatur der Arbeitswelt, mit einer selten raffinierten, doppelbödigen Naivität.

 

Jürgen Moeller im „Münchner Merkur“ vom 28. 11. 1973

Wer bei der „Arbeiterliteratur“ an den Vorrang gutgemeinter Aussage auf Kosten der literarischen Form denkt, der liegt bei Michael Scharangs Prosa falsch. Der zweiunddreißigjährige Österreicher hat im Gegenteil gerade das Verhältnis Arbeiterbewußtsein und Sprache zu einem der Themen seines ersten Romans gemacht.

Scharang erzählt dies Stück politischer Literatur einfach, schnörkellos. Daß hier handfeste Einsichten transportiert werden, muß seine Sprache nicht büßen.

 

Ernst Nef in der „Neuen Zürcher Zeitung“ vom 22. 11. 1973

Der Roman ist sehr gut geschrieben: allerdings viel altmodischer als Döblins Werk und inhaltlich wie seitenmäßig viel weniger umfangreich. Scharang geht geradlinig auf die Lehre zu, ohne diese doch bloß aufzusetzen; sie wird erzählerisch aus dem Stoff entwickelt. Alles, was geschieht, ist bedeutend, auf Allgemeineres hin deutbar, fast im Goetheschen Sinn; sozusagen „Die Wahlverwandtschaften“, aber marxistisch.

 

Norbert Schachtsiek-Freitag im „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt“ vom 17. 2. 1974

Die Aussagekraft der Geschichte, die „Stimmigkeit“ ihrer Teile ist offenbar. Scharang berichtet aus der Perspektive seines Romanhelden über Lernvorgänge, die den Arbeiter Karl schließlich zur Parteinahme für die Kommunisten und deren politische Ziele führt. Der Romanschluß wirkt in dem Maße überzeugend oder erscheint kritisierbar, wie der Leser den marxistischen Standpunkt des Autors teilt oder verwirft.

 

Heidi Pataki im „Neuen Forum“, Wien, Jänner/Februar 1974

Der realistische Stil dieses Romans ist mehr als eine literarische Fiktion. Viele bezeichnende Details aus dem Arbeiterleben stammen aus den Tonbandprotokollen, die Michael Scharang mit jungen Arbeitern aufgenommen hat. Während in den meisten Dokumenten der wiederentdeckten Arbeiterliteratur noch ein altertümliches, aus den zwanziger Jahren stammendes Bild des Proletariers gezeichnet wird, kommt im Roman „Charly Trraktor“ dieses mythische Wesen, der moderne Arbeiter, selbst zu Wort!

 

Heinz Ludwig Arnold in „Die Tat“, Zürich, 23. 2. 1974

Scharang liefert in seinem Roman also ein Modell, aber nicht, wie der frühe Handke, ein ästhetisches Modell für einen möglichen Roman, sondern eben das Modell eines inhaltlich abgedeckten Bewußtwerdungsprozesses. (...) Nicht von zukleisternden Ideologien ausgehend, nicht Parolen skandierend, sondern vom Geringsten, Naheliegendsten ausgehend: sehen, zählen; verschiedenes Gesehenes vergleichen, abwägen; dann das Verglichene messen an anderem; schließlich urteilen. Fast geht dieser Charly Traktor denselben Weg, den Peter Handkes Kaspar genommen hat – nur verschwindet Handkes Kaspar in der Affirmation, dient eine Ausbildung in Sprache der Anpassung anderer, während Scharangs Charly
in eine Klassensolidarität geführt wird. Sich mit anderen vergleichend, gewinnt er eine Position, nimmt er ein Bewußtsein an, in dem er solidarisch handeln kann.

 

Urs Graf in „Vorwärts“, Basel, 7. 11. 1985

Die Kunstfertigkeit, mit der Scharang das entstehende Bewußtsein seines jugendlichen Helden schildert - in seiner unbeholfenen Sperrigkeit etwas an Plendorfs „neuen Werther“ erinnernd -, läßt vermuten, daß da nicht nur Sympathien mit jenen vorhanden sind, die immer noch den größten Mehrwert schaffen, sondern auch Sach- und Klassenkenntnisse. Auch Christa Wolf meinte ja in Bezug auf den Bitterfelder Weg im andern Teil Deutschlands, daß kein guter Betriebsroman entstehen könne, wenn ein Autor nur mal schnell in einen Betrieb hineinschnuppere.

 

Heiko Strech in der „Rheinischen Post“, Düsseldorf, 20. 4. 1974

Das klingt nach einem gesellschaftspolitischen deus ex machina, doch bei Scharang geht das ohne jede „Linkshaberei“. Ein „linker“ Arbeiterroman ohne „linkes“ Pathos und ohne selbstbemitleidenden Blick auf ein beklagenswertes Unterprivilegierten-Schicksal. Viele moderne Romane versetzen uns in das „Innere eines Kopfes“, aber wohl kaum einer hält im Inneren eines Arbeiterkopfes so gelassen und genau einen Lernprozeß fest.

 

David Axmann in der „Tagespost“, Graz, 21. 12. 1973

Wenn man nur wüßte, was Michael Scharang eigentlich weiß! Träumt er wie Parsifal oder denkt er wie ein Parteifunktionär? Weiß et denn nicht, daß die Kommunisten die Demokratie nur solange verbessern wollen, bis sie sie abgeschafft haben? Weiß er denn nicht, daß ein österrreichischer Kommunist nur deshalb seinen Arbeitsplatz aus freien Stücken wechseln kann, weil seine Partei bei den Parlamentswahlen nicht 99,8 sondern bloß 1,35 Prozent der Stimmen erhalten hat? Weiß er denn nicht, daß die „Volksstimme“ aus eben diesem Grunde Charlys Rede gegen seinen Arbeitgeber abgedruckt hat, und daß die „Prawda“ nicht einmal Charlys Transportation nach Sibirien erwähnen würde? Weiß er denn nicht, der Parisfal, daß die Funktionäre der KPÖ seinen Charly Traktor als demokratisches Zugpferd vor ihren Propagandawagen spannen werden? Oder sollte er vielleicht gar kein Parsifal sein und sehr wohl wissen, daß nur die Demokratie Konjunktive gestattet, die Diktatur jedoch jede freie Möglichkeitsform in staatliche Imperative sperrt? Sei dem wie immer. Ich rate ihm, beizeiten zu lernen, wo man Konjunktive zu setzen hat.

 

N.N. in der „Times“, Literary Supplement vom 2. 8. 1974

In Michael Scharang’s engrossing Entwicklungsroman Charly Traktor releases his anger by organizing a strike against health-endangering conditions at his factory. His “colleagues” abandon him at the first squeeze of management pressure, whereupon Charly reverts to selfgratification. Hoping to impress his girl-friend Elfi, whose flat he shares rent-free, he goes to another firm which gives him a large loan. The strain imposed by the insane hours he must work to repay this makes Elfi attempt suicide. The shock, together with a heart-to-heart talk on solidarity and the dangers of credit-living from a Communist workmate, show Charly his responsibilities: to be both a caring individual and an independent member of a community. The author`s televisual detail of observation gives the varied characters and settings immediacy and colour.

 

Ernest Bornemann in “Books abroad”, Norman Oklahoma, November 1974

Michael Scharang, has so far made his name with experimental prose and a Marxist study of art “Zur Emanzipation der Kunst”. Charly Traktor is a completely new departure for him, and an extremely successful one. The book, quite obviously, won`t be to everyones`s taste because it takes a political line that has even fewer adherents in the United States than in Europe. But it should and probably will be translated because it is short, easily translatable and will certainly find a sufficient number of enthusiastic readers among the American Left.

 

Harry

>>> Kritiken, siehe Zweitausgabe